: Zurück in die Zukunft
VORAUSDENKEN In der Stadtplanung kommen alte Ideen zu neuen Ehren – zu sehen auf einer Ausstellung in der ifa-Galerie zur nachfossilen Stadt
VON MARTIN EBNER
Was wird aus Wolkenkratzern und Stadtautobahnen, wenn es einmal kein Öl mehr gibt? Oder zumindest kein bezahlbares Benzin? Für Stadtplaner ist das heute schon eine brennende Frage – schließlich sollen sie ein paar Jahrzehnte vorausdenken. Das Institut für Auslandsbeziehungen und die Zeitschrift Arch+ zeigen in Berlin eine Ausstellung zu „Zukunftsszenarien für die nachfossile Stadt“. Die Visionen für „nachhaltige“ Stadtsysteme und Verkehrsmittel greifen oft auf alte Bautraditionen oder auch auf utopische Entwürfe der Moderne zurück.
Abgesehen von Planungen für den ehemaligen Flughafen Tempelhof präsentiert die Schau nur Neubauprojekte außerhalb Europas. Architekten können sich eben viel besser austoben, wenn ganze Städte aus dem Boden gestampft werden. Außerdem soll auf fernen Kontinenten alles viel grüner werden als zu Hause: Christian Berkes, einer der Ausstellungskuratoren, sieht dort die „Möglichkeit, die Fehler, die in der Geschichte der westlichen Planungskultur begangen wurden, nicht zu wiederholen“.
Vorerst kommen ökologisch ambitionierte Baumeister aber meist noch aus der alten Welt. Das Berliner Architektenbüro SMAQ zum Beispiel arbeitet gerade an Xeritown, einem neuen Stadtviertel von Dubai. Die Planer besinnen sich dabei auf traditionelle arabische Bauweisen: kühlende Windtürme, luftige Innenhöfe und an den Fassaden schattenspendende Blenden. So erspart man sich Klimaanlagen.
Den Masterplan für die „CO2-neutrale Wissenschaftsstadt“ Masdar hat Norman Forster gezeichnet; an der Umsetzung arbeiten jetzt Stuttgarter Architekten und Ingenieure. Die für 100.000 ständige Einwohner ausgelegte Wüstenstadt in den Vereinigten Arabischen Emiraten wird ab 2012 Sitz der UNO-Agentur für erneuerbare Energien. Durch den Untergrund des autofreien Masdar sollen kleine, mit Solarstrom angetriebene Transportkabinen flitzen. Dieses futuristisch-nostalgische Verkehrssystem war in den 1970er-Jahren, zur Zeit der ersten Ölkrise, für Paris entwickelt worden, kam dort aber nie über die Planung hinaus. Die 50.000 Pendler, die aus dem 30 Kilometer entfernten Abu Dhabi nach Masdar kommen sollen, werden allerdings wohl mit herkömmlichen Autos zu Park-and-Ride-Stationen am Stadtrand fahren.
Vielleicht schafft ja Israel die Energiewende früher. Dort will die Firma „Better Place“ mit einem landesweiten Netz von Batteriewechselanlagen und Aufladestationen für Elektroautos zwei Probleme auf dem Weg zur Nachhaltigkeit auf einmal lösen: die bislang mangelnde Reichweite von elektrischen Vehikeln und die schwierige Speicherung von Solar- und Windstrom.
Große Fortschritte können aber auch auf vergleichsweise simplen Ideen beruhen: Im brasilianischen Curitiba hatte man um 1960 kein Geld für Highways oder U-Bahnen. Also ließ der Stadtplaner Jaime Lerner auf eigenen Fahrspuren Schnellbusse verkehren und richtete Neubauten an diesen Bus-Achsen aus. Fahrkarten konnten nicht nur gekauft, sondern auch durch Müllsammeln erworben werden. Seither ist Curitiba von 400.000 auf über fünf Millionen Einwohner explodiert, das Bussystem funktioniert immer noch – und die Stadt rühmt sich der besten Lebensqualität des Landes.
Öde Retortenstädte wie Brasilia sollen in Zukunft nicht mehr vorkommen, versprechen die Experten. Die Bürger sollen bei der Planung mitreden dürfen. Für das NEST-Projekt, eine energieautarke Siedlung in Äthiopien, sieht der Schweizer Urbanist Franz Oswald Workshops vor, in denen „die zukünftigen Bewohner lernen, ihren Lebensraum nach demokratischen Prinzipien zu gestalten“.
Die Stadtplaner wollen nicht nur Straßen und Häuser, sondern die ganze Welt verbessern. So hat der Niederländer Raoul Bunschoten ein gemeinsames Raumplanungsmodell für Xiamen (Volksrepublik China) und Taichung (Taiwan) entwickelt. Ob es vor oder nach dem Einmarsch der Volksarmee verwirklicht werden soll, ist allerdings nicht zu erfahren. Dass „das Denken in Alternativen wichtiger ist als je zuvor“, ist jedenfalls die feste Überzeugung der Ausstellungsmacher. „Auch wenn viele Konzepte zunächst in den Schubladen verschwinden werden.“
■ Bis 18. Juli. www.ifa.de