: Schlau eingetütet
PACKEN Puma schafft den Schuhkarton ab. Die „schlaue kleine Tasche“ soll dem Image auf die Sprünge helfen
■ Geschichte: Schuhkartons gibt es seit dem 19. Jahrhundert, zuvor wurden Schuhe in Holz- oder Lederschachteln verkauft.
■ Geschäft: 2005 wurden in Deutschland 90 Millionen Paar Schuhe verkauft, von Marktführer Deichmann 60 Millionen Paar. 20 Millionen Schuhkartons wurden im Inland hergestellt, die anderen im Ausland, meist in Asien.
■ Gebrauch: Die Kartons werden gern als Allzweckkiste für Fotos, Zettel und Briefe verwendet. Im Nachlass des 1956 verstorbenen Schriftstellers Robert Walser fand man eine Schachtel mit unzähligen textlichen Bleistiftminiaturen, den sogenannten Mikrogrammen.
VON HEIKE HOLDINGHAUSEN
Diese Schuhe müssen es sein. Blau, Wildleder, Puma. Ab zur Kasse, Schuhe auf den Tresen, Kreditkarte raus, die Verkäuferin packt zu und – stopp! Jetzt kurz nachdenken. Denn gleich kommt sie, die Frage: „Möchten Sie den Karton mitnehmen?“
„Natürlich mitnehmen“, sagt der Kollege, unbedingt wolle er seine Schuhe im Karton nach Hause tragen. „Was soll ich mit dem Ding“, sagt eine Freundin, „landet eh im Altpapier.“
Karton oder kein Karton, vor diese Frage will uns der Sportartikelhersteller Puma künftig nicht mehr stellen. Die Schwaben-Treter sollen nämlich in einem coolen roten Säckchen verschwinden, der „schlauen kleinen Tasche“. Die gibt es ab Mitte nächsten Jahres in den Läden und ist Teil des Puma-Nachhaltigkeitsprogramms. Das Säckchen soll beides sein: Schuhkarton und Einkaufstüte.
„Bislang verpacken wir die Schuhe erst in einem Karton“, sagt Reiner Hengstmann, „und dann kommt der Karton in eine Tüte.“ Das muss anders werden, dachte sich der Leiter des Bereichs Umwelt und Soziales bei Puma und ließ den Industriedesigner Yves Béhar aus San Francisco eine neue Verpackung ertüfteln. Heraus kam ein Täschchen aus Polypropylen. Dieser Kunststoff auf Erdölbasis lässt sich zu Fasern ziehen, die zu Vliesstoffen gesponnen werden. Zu einer Tasche genäht, mit recycelter Pappe stabilisiert, ergibt das eine prima Verpackung. Seinen Papierverbrauch zur Herstellung von Kartons will Puma damit um 65 Prozent senken, den Verbrauch von Wasser, Energie und Diesel auf Fertigungsebene um 60 Prozent.
„Aus zwei Verpackungen machen wir eine“, sagt Hengstmann. Später kann der Käufer das Papp-Innenleben entfernen und mit der Tasche noch einkaufen gehen. Und am Ende lässt sie sich auch recyceln, so die Idee.
„Klingt gut“, sagt Günter Dehoust, Experte für Abfallentsorgung und Stoffströme am Freiburger Öko-Institut. Doch Ökobilanzen von Verpackungen seien eine ziemlich komplexe Sache. In Studien des Öko-Instituts sind Kartons aus Pappe Kunststoffbehältnissen meist überlegen. Aber nicht immer. Welche Verpackung gewinnt, hängt auch davon ab, ob sie in Ländern mit guten Recyclingsystemen verkauft wird. In Deutschland werden 70 Prozent der Tütchen, Becher und Kistchen aus Plastik oder Aluminium, so genannte Leichtverpackungen, gesammelt und dann recycelt. In Rumänien fast keine. Dort landen die extrem haltbaren Tüten in der Regel auf der Deponie, in der Landschaft, im Meer. „Dort wäre Pappe also besser, weil sie verrotten kann“, sagt Dehoust.
Wohin mit den Tretern?
Aber auch Gewicht und Volumen der Verpackung spielen eine Rolle. Je kleiner sie ist, desto mehr Stückzahlen können transportiert werden. Und für leichte Waren verbrauchen Lastkraftwagen oder Schiffe weniger Treibstoff. Bisher passen laut Hengstmann zehn Puma-Kartons in einen großen Transportbehälter, künftig sollen es zwölf Täschchen sein. Ein Pluspunkt.
„Ach nee“, schimpft der Kollege, „jetzt verschwindet auch noch der Schuhkarton?“ Schon immer habe er seine Schuhe in solchen Kartons gekauft, das sei mal wieder typisch, gedankenlos werde Tradition zerstört. Außerdem braucht er die Kartons: „Im Winter verwahre ich darin meine Sommerschuhe, im Sommer meine Winterschuhe.“ Nix mit einstauben, praktisch sei das.
Geradezu unverzichtbar seien die Kartons, sagt Claudia Schulz vom Bundesverband der Schuhindustrie. Schließlich arbeiteten die meisten Schuhgeschäfte damit: Oben auf einem Tischchen stehen die Modelle, darunter die Kartons mit den verschiedenen Größen. „Auch im Lager bewährt sich der Karton“, sagt Schulz, „weil er sich gut stapeln lässt.“ Das Ende des Schuhkartons sei noch lange nicht gekommen. Zudem sei die Idee von Puma ja nicht ganz neu. Auch andere Hersteller verpackten ihre Schuhe schon in Säckchen. „Ist ganz hübsch“, sagt Schulz, „aber kein Trend.“
Die beste Verpackung sei doch sowieso die, die gar nicht erst produziert werde, meint die Freundin, „Verbrauch von Papier, Kunststoff, Wasser, Energie sind gleich null.“ Nicht unbedingt, widerspricht Umweltexperte Dehoust. Würden Schuhe ohne Verpackung von der Fabrik zum Händler transportiert, könnten sie beschädigt werden. „Da ist dann der Ausschuss höher, und das ist für die Ökobilanz auch nicht gut.“
Was tun also, an der Kasse: Karton mitnehmen? Beutel einstecken? Nur die Schuhe? Wie es beliebt. Die Verpackung aber auf jeden Fall ordnungsgemäß entsorgen. Und sich bei Gelegenheit danach erkundigen, wie und von wem die Schuhe produziert wurden. Auch noch so ein Thema zum Nachdenken.