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Archiv-Artikel

„Eine Anrufung der Vergangenheit“

JÜDISCHE KULTUR Eine Fotoausstellung über die Hamburger Talmud-Tora-Schule steht im Zentrum der diesjährigen Novembertage in Rendsburg

Von PS
Anfangs habe man die Novembertage „als Wiedergutmachung“ an gesehen, sagt Museumsleiter Christian Walda

Man könnte sich darüber wundern: Das zweitälteste jüdische Museum Deutschlands findet sich ausgerechnet in Rendsburg, mitten in Schleswig-Holstein – wo so wenige Juden wohnen wie nirgends sonst in Deutschland. 2.000 waren es vor der Shoah, und in etwa so viele sind es heute wieder. Eine jüdische Gemeinde gibt es in Rendsburg selbst keine mehr: 1942 nahmen sich der letzte Gemeindevorsitzende Julius Magnus und seine Frau das Leben – als der Deportationsbefehl kam.

Der deutlichste Einschnitt war aber auch dort die reichsweite Pogromnacht 1938, die sich jetzt zum 75. Mal jährt: Die Rendsburger Synagoge wurde geschändet, aber nicht niedergebrannt – aus Rücksicht auf die umgebende Häuserzeile. Zudem gab es einen Käufer für das Gebäude, einen Fischfabrikanten. Und so wurden dort bis in die 1980er-Jahre Fische geräuchert. Im November 1988 eröffnete das Jüdische Museum Rendsburg.

Parallel zur Gründung der jüdischen Museen wurden bundesweit auch die „Novembertage“ ins Leben gerufen, Veranstaltungsprogramme, die sich zunächst auf die Pogromnacht von 1938 bezogen. Anfangs habe man sie „als Wiedergutmachung“ angesehen, sagt der Rendsburger Museumsleiter Christian Walda. Inzwischen sei das anders, man zeige jüdisches Leben in all seinen Facetten.

Das tun auch die Rendsburger Novembertage, die an diesem Sonntag beginnen: Das diesjährige Programm reicht von einem Vortrag des Historikers Reichel über „Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung“ (12. 11.) über einen Abend mit der Autorin Lea Fleischmann (5. 11.) bis zu einem Film über den Schauspieler Alexander Granach (29. 11.) reicht das Programm. Zu hören gibt es auch die jiddischen Lieder der deutschen und osteuropäischen Ashkenasen (21. 11.) sowie jene der spanischen und portugiesischen Sepharden (14. 11.). Der Gedanke Waldas ist dabei eher kosmopolitisch: „An dieser Musik hört man deutlich, dass sie nicht in erster Linie jüdisch ist, sondern von der Kultur geprägt, in der die Menschen leben.“ Denn „das Jüdische“ definiere sich eben nicht so schlicht.

Trotzdem liegt ihm auch an norddeutsch-jüdischer Identität, und deshalb ist das Kernstück der Rendsburger Novembertage eine Ausstellung der Fotografin Gisela Floto über die Hamburger Talmud-Tora-Schule. Die hatte ein ähnliches Schicksal wie die in Rendsburg: einen Standort neben der einstigen Synagoge nämlich und eine spätere Zweckentfremdung.

In der Hamburger Schule residierte bis 2004 eine Fachoberschule. Seit 2007 gibt es dort auch wieder Schulkinder. Erfreulich nennt das die Hamburger Fotografin, die bei Recherchen auf ein Abiturientinnen-Foto von 1938 stieß. Fortan interessierte sie sich für das Schicksal der Mädchen an der ursprünglich für Jungen konzipierten Schule.

Fotografisch-intuitiv suchte sie Vergangenheit und Gegenwart zu verknüpfen: Von 2003 bis 2005 wandelte sie mit Schülerinnen, die sie in weiße Traumkleider steckte, durch die Räume. „Mir schwebt eine Anrufung der Vergangenheit vor. Eine Wiederherstellung dessen, was nicht wieder herstellbar ist.“ 2011 ist Floto wiedergekommen, hat das Hier und Jetzt fotografiert: Schüler beim Beten, Essen, Toben.

Dazu kommen Dokumente, die ihr Überlebende gaben, und die Briefe, die sie ihr schrieben – über Lehrer und über viele Tote wie den letzten Direktor Joseph Carlebach, nach dem die Schule heute benannt ist. Eine künstlerische Ausstellung sei es geworden, sagt Floto selbst, keine historische. Der Versuch, einen Faden aufzunehmen, an Unbekanntes anzuknüpfen.  PS

■ „Gisela Floto – Die Talmud Tora Schule am Grindelhof in Hamburg zwischen gestern und heute“: ab Sonntag, 3. November, Jüdisches Museum Rendsburg www.jmrd.de