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Archiv-Artikel

Entlang der Trasse

FILM Das Kino Krokodil zeigt am morgigen Sonntag ein sehenswertes „Nachspiel“ zur Dok Leipzig

Vielleicht stoßen Ex-Ost-Kulturarchäologen hier endlich auf die richtige Spur. Vielleicht steckt in der Stolper-Vokabel „Erdgastrasse“ der Ursprung von Druschba, was aus dem Russischen übersetzt Freundschaft bedeutet.

„Druschba-Trasse“ ward jener Bauabschnitt der Erdgasleitung zwischen dem westsibirischen Urengoy und dem ukrainischen Ushgorod genannt, den in den 1970ern maßgeblich die DDR betrieb – als über politische Spannungen hinweghelfendes Zeichen der Union zwischen dem kleinen und dem großen Bruder.

Die Pipeline, die dann bis zum Golf von Biskaya führte und als transkontinentales Ereignis der Reagan-Regierung einen gewissen Schrecken einzujagen vermochte, galt als „zentrales Jugendobjekt der FDJ“.

In „120 Trassentage“ von Irina Gregor, einer DEFA-Produktion von 1983, kann man parallel zur ideologiestärkenden Projektmessage auch einen Einblick in die reale Arbeitswelt der blaubehemdeten Brigaden bekommen.

Die kurze Dokumentation wird löblicherweise im „Nachspiel Leipziger Dokfestival im Kino Krokodil“ (dort wiederum im Vorprogramm) laufen, mit dem das Kinozwei aktuelle Beiträge des Leipziger Wettbewerbs nach Berlin bringt und die Verbundenheit zu einem Festival unterstreicht, das gerade dieses Jahr seine traditionelle Ost-Orientierung vorbildlich zur Schau stellt (Polen, Tschechien, Russland, die Slowakei, Serbien aber auch die Ukraine sind etwa vertreten).

Dass der Osten immer ausführlicher auf den Westen trifft und umgekehrt, ja, dass sich Grenzen im geopolitischen Verkehrs- und Migrationskosmos auflösen, wird in den beiden Hauptfilmen deutlich.

Zum einen ist das die neue Filmexpedition Witalij Manskijs mit dem Titel „Truba / Pipeline“ (Die Trasse), die bildgewaltig und soundtechnisch durchkomponiert ist. Manskij reist vom autonomen Kreis der Jamal-Nenzen bis zum Rosenmontag nach Köln und porträtiert entlang der unterirdischen Energie-Bahn jene Menschen, die über oder neben der Trasse leben.

Auf indigene Eisfischer trifft er dabei ebenso wie auf orthodoxe Priester, die via Kirchen-Waggon im russischen Hinterland missionieren und peripheren Existenzen die Taufe nahelegen. Hier wird Putin gewählt und Gorbatschow verteufelt. Und die Hochzeitsrituale an der Europa-Asien-Grenze sind so berauschend wie die Fluchorgien polnischer Männer oder die komplementäre Marienverehrung der Frauen. Am Ende steht der Karneval, denn auch das Ruhrgas hat seinen Ursprung in Sibirien.

Der zweite Beitrag, „Sirs and Misters“ („Sery ta senyory“) von Olexandr Techynskyy, bewegt sich in einem kleineren Radius, im Bereich zwischen der Autobushaltestelle und dem Kern des ukrainischen Städtchens Uman. Aber auch hier ist genug Reibungspotenzial vorhanden für kulturelle Konfrontation. Jahr für Jahr pilgern nämlich Chassiden aus aller Welt in den Geburtsort von Rabbi Nachman, um das Rosch ha-Schana Fest zu feiern – ein wahres religiöses Spektakel.

Dutzende Kisten und Koffer machen dabei den weiten Weg der Anreise mit und die ansässige Bevölkerung evakuiert nicht nur für einige Tage ihre Wohnungen zu Vermietungszwecken, sondern leistet den Ankömmlingen enorme Gepäckschleppdienste. Denn jeder Dollar zählt hier.

Barbara Wurm

■ 19 Uhr: „Sirs and Misters“; 19.45 Uhr: „120 Trassen-Tage“; 20.15 Uhr: „Die Trasse“. Sonntag, 03. November, Kino Krokodil, Greifenhagener Strasse 32, Prenzlauer Berg