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Archiv-Artikel

Da fließt das Geld

STROMNETZ Was würde ein Rückkauf bringen? Der Vergleich mit den Städten Stuttgart, Köln und München zeigt: Zumindest finanziell könnte es sich lohnen

Ein Teil der Einnahmen in Köln kommt Schwimmbädern und dem öffentlichen Nahverkehr zugute

VON HANNES KOCH

Normalerweise interessieren die Stromleitungen niemanden. Zwar liegen sie unter fast jedem Berliner Bürgersteig. Das fällt jedoch nur auf, wenn ein Baggerfahrer sie mal aus Versehen zerreißt und ganzen Straßenzügen das Licht ausknipst.

Und jetzt kommt Claudia Kemfert, die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, und sagt: „Wer die Netze hat, hat die Macht.“ Das klingt ein bisschen nach: „Unter dem Pflaster liegt der Strand“. Die Aktivisten des Berliner Energietisches finden Claudia Kemfert deshalb toll. Auch für sie sind die Tausenden Kilometer Kabel im Berliner Untergrund nicht nur eine Menge Metall, sondern ein potenzieller Hebel für die Energiewende. Deswegen wirbt der Energietisch dafür, dass die Bürger beim Volksentscheid am 3. November auch für einen Kauf des Netzes stimmen sollen.

Dass die Art, wie die elektrische Energie produziert wird, für die Energiewende wichtig ist, erscheint einleuchtend. Schließlich stellen Kraftwerke entweder Strom mit hoher Klimabelastung und großem Umweltrisiko her (Kohle, Gas, Atom), oder sie nutzen regenerative Quellen (Wind, Sonne, Biomasse). Welche Rolle aber spielt der Transport der Elektrizität? Hat es deshalb Sinn, dass das Land Berlin dem Energiekonzern Vattenfall das Stromnetz für Hunderte Millionen Euro abkauft und durch eine neue, kommunale Netzgesellschaft betreiben lässt?

Andere große Städte in Deutschland haben hier bereits Erfahrungen gesammelt. Fall 1: Vergleichbar mit Vattenfall in Berlin besitzt in Stuttgart die Aktiengesellschaft EnBW die Stromleitungen. Deren Aktien liegen zwar mehrheitlich in öffentlichem Besitz unter anderem des Landes Baden-Württemberg. Gegenüber der Stadt Stuttgart tritt der Konzern jedoch wie ein privates Unternehmen auf. Das ist ein Grund, warum die baden-württembergische Landeshauptstadt derzeit versucht, das Netz in ihr Eigentum zurückzuholen.

In der Hand der Stadt

Köln als zweites Beispiel hat ein kommunal-privates Mischmodell: Dort betreibt eine Gesellschaft die Kabel, die mehrheitlich in der Hand der Stadt ist, wobei 20 Prozent der Anteile mittelbar dem Energiekonzern RWE gehören. In München, dem dritten Fall, sind die Stromkabel dagegen komplett in der Hand der kommunalen Stadtwerke – wie auch die Kraftwerke.

Das Beispiel Stuttgart: Wenn man die EnBW fragt, wie sie das Stuttgarter Netz für die Energiewende fitmachen wollen, nennt Sprecher Hans-Jörg Groscurth einige Projekte, darunter ein Vorhaben, Ökostrom vorübergehend in Stromheizungen zu speichern.

Die Herausforderung der Energiewende besteht ja darin: Während Atom- und Kohlekraftwerke permanent und verlässlich Energie produzieren, fließen Wind- und Solarstrom nicht regelmäßig, sondern nur dann, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Dieses schwankende Angebot muss man mit der Nachfrage nach Strom koordinieren. Es geht darum, Strom zu speichern, Reservekraftwerke zu- und abzuschalten oder auch den Verbrauch zu steuern. Beispielsweise könnten Industrieunternehmen zeitweise ihre Abnahme reduzieren. Angebot und Nachfrage flexibel gestalten soll später das sogenannte intelligente Stromnetz.

Diese Notwendigkeit kennt auch EnBW. „Bisher ist aber kaum etwas passiert“, sagt Peter Pätzold, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stuttgarter Stadtrat. Unter der Ägide einer kommunalen Netzgesellschaft hofft er für die Zukunft auf schnellere Fortschritte in Richtung des intelligenten Netzes. Wobei Pätzold betont, dass der Gestaltungsspielraum beim Stromtransport eher gering sei. Trotzdem plädiert er dafür, das Netz in kommunale Hand zu übernehmen. Dann ließen sich beispielsweise Investitionen für die Energiewende tätigen, die sich „nicht sofort rechnen“.

Das Beispiel Köln: „Man sollte nicht der Illusion erliegen, dass die Energiewende mittels des Netzes entscheidend vorankommt“, sagt dort Gerd Brust von der grünen Ratsfraktion. „Die Netzgesellschaft leitet die Energie nur durch.“ Viel wichtiger sei jedoch die Art ihrer Produktion. So investiert die mehrheitlich öffentliche Rheinenergie AG stark in Windkraft, Gas- und Blockheizkraftwerke. Weder beim Netz noch bei Produktion und Versorgung „nimmt RWE Einfluss“, sagt der Grüne, „das Unternehmen holt sich nur seine Dividende ab“.

Doch auch Brust sieht Vorteile darin, wenn die Netzgesellschaft komplett in öffentlicher Hand wäre. Der Grund ist ein finanzieller: „Dann würde der gesamte Gewinn aus dem Stromnetz“ an die Stadt fließen. Ein Teil dieser Einnahmen dient schon heute der Quersubventionierung der Schwimmbäder und des öffentlichen Nahverkehrs.

Das Beispiel München: Ähnlich betrachtet es Sabine Krieger, die Energieexpertin der Grünen im Münchner Stadtrat. Die bayerische Landeshauptstadt kontrolliert sowohl das Netz als auch die Stromproduktion zu 100 Prozent. Trotzdem spricht Krieger vor allem über die Herstellung der Elektrizität – über Windparks und Solaranlagen. Das große Ziel: die Komplettversorgung der privaten Verbraucher und Unternehmen mit Ökoenergie bis 2025. Wichtig ist Krieger das Netz augenblicklich vor allem aus einem Grund: „Es bringt Geld.“ Und diese Mittel kann die Stadt so einsetzen, wie sie es für richtig hält, ohne private Anteilseigner fragen zu müssen.

Vieles ist Zukunftsmusik

Was bedeuten diese Erfahrungen für Berlin? Erstens: Experten, Wissenschaftler und Politiker reden viel über das intelligente Stromnetz und seine Rolle für die Energiewende. Noch ist das meiste davon Zukunftsmusik. Die Netzbetreiber unternehmen bisher nur erste tastende Schritte. Deshalb gibt es heute kaum Unterschiede in der Netzpolitik von kommunalen, privaten und gemischten Betreibern.

Das könnte sich in Zukunft ändern. „Wenn der Anteil der erneuerbaren Energien wächst, nimmt die Bedeutung des internetbasierten Managements von Stromangebot und -nachfrage zu“, sagt Jens Libbe vom Deutschen Institut für Urbanistik. Dann könne es nützlich sein, dass ein kommunales Stadtwerk nicht nur den Strommix, sondern die Art der Verteilung kontrolliert. Beim Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) heißt es: „Ein kommunaler Netzbetreiber ist, was die Umsetzung von energie- oder klimaschutzpolitischen Zielen der Gemeinde angeht, aus der Sicht der öffentlichen Hand besser zu steuern als ein privates Unternehmen.“

Zweitens: Das Netz bringt Geld. Das Land Berlin könnte damit unterm Strich Gewinn einfahren. Denn wie heute von Vattenfall erhielte das Land Berlin auch künftig vom eventuell öffentlichen Netzbetreiber die Konzessionsabgabe. Diese liegt in der Größenordnung von 140 Millionen Euro jährlich. Hinzu käme aber der Gewinn aus dem Betrieb des Netzes. Diesen behält Vattenfall heute für sich. Von den größenordnungsmäßig 50 Millionen Euro pro Jahr muss man allerdings die Finanzierungskosten des Kaufpreises für das Netz abziehen. Bei einer Investition von einer Milliarde Euro wären das etwa 20 Millionen. 30 Millionen Euro hätte der Senat also vielleicht mehr auf dem Konto. Das ist nicht viel, aber für einige zusätzliche Lehrer und Kindertagesstätten würde es reichen.