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Archiv-Artikel

Der Indianer löst den inneren Konflikt

AUF LUNGE Seit zehn Jahren sinkt der Zigarettenabsatz in Deutschland, aber immer mehr Raucher drehen selber. Am liebsten ohne Zusatzstoffe

„Erfolgreich, das sind nicht mehr die Verwegenen. Erfolgreich ist, wer seine Ressourcen optimal nutzt“

VON ANDREAS KIENER

Es gibt Raucher, die Wert auf richtigen Tabak legen. Die Päckchen in sattem Blau, der Tabak darin mit Zusatzstoffen versehen. Die sorgen dafür, dass der Rauch angenehm schmeckt und die Zigarette gleichmäßig brennt. Die Päckchen in den kräftigen Farbtönen sieht man nur noch selten. Viele Selberdreher rauchen heute ein anderes Kraut. Die Farben dieser Tabakbeutel wirken, als hätten sie lange in der Sonne gelegen. Pastellfarben und natürlich, wie Produkte aus dem Bioladen. Es ist der Traum von einer harmlosen Zeit. Von einer Vergangenheit, in der die Freude an Farbe mit der Unfähigkeit kollidierte, sie zu erzeugen. Tabak ohne Zusatzstoffe erkennt man am Design.

Die bayerische Firma Pöschl Tabak brachte 2006 die Marke Pueblo auf den Markt. Viele Raucher fühlten sich angesprochen. Für den Konsum des Tabaks gibt es zwei Motive: Er ist billig und enthält keine Zusatzstoffe. Pueblo wurde ein Hit. Inzwischen verkauft die Firma 2.400 Tonnen jährlich. Sie ist europaweit Marktführer bei Feinschnitt ohne Zusatzstoffen.

Feinschnitt ist ein Fachbegriff. Wenn das auf der Packung steht, weiß man: billiger deutscher Tabak. Stinkendes Kraut, das im Hals kratzt. Auf dem guten Tabak stand Halfzware Shag. Shag ist niederländisch für Feinschnitt. Die Niederlande waren früher durch ihre Kolonien ein Zentrum des Tabakhandels. Sie hatten die besseren Sorten. Halfzware ist eine Stärkebezeichnung. Halbschwer, ein heller, leichter Tabak im Gegensatz zum dunklen Zware Shag. Seit 2003 ist es verboten, Tabak mild oder leicht zu nennen. Also ist die Bezeichnung Halfzware Shag verschwunden.

Dann kam der Tabak ohne Zusatzstoffe mit einer neu gedeuteten Eigenschaft. Trockenheit ist nun kein Mangel, sondern ein Qualitätsmerkmal. Wäre er so feucht wie konventioneller Tabak, würde er ohne künstliche Hilfsmittel verderben.

Pöschl Tabak hat den Firmensitz in der niederbayerischen Gemeinde Geisenhausen. Bevor die Firma mit Feinschnitt Erfolg hatte, war sie für Schnupftabak bekannt. Ein Nischenprodukt im Vergleich zu rauchbaren Tabakwaren, aber diese Nische gehört den Bayern. Die Hälfte des weltweit verkauften Schnupftabaks kommt aus Geisenhausen.

Drehtabak ist ein größeres Marktsegment, das auch in Zeiten sinkender Zigarettenverkäufe wächst. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Während der Verbrauch von Zigaretten in den vergangenen zehn Jahren von rund 1.800 Stück je Einwohner auf rund 1.000 Stück sank, stieg der Feinschnitt-Verbrauch im selben Zeitraum von etwa 190 Gramm auf fast 330 Gramm.

Selbst drehen wird auch attraktiver, weil die Preise für Zigaretten steigen. Feinschnitt hingegen wird niedriger besteuert. Mit einer Packung kann man etwa 50 Zigaretten drehen. Tabak kostet 3,90 Euro. Dazu kommen die geringen Kosten für Filter und Papier. Das macht etwa 1,90 Euro für 19 Zigaretten. Kein schlechter Preis.

Die Bayern haben den zusatzfreien Tabak allerdings nicht erfunden. Natural American Spirit, ein etwas teureres Produkt der Santa Fe Natural Tobacco Company war Vorreiter. 2002 wurde die Firma vom zweitgrößten amerikanischen Tabakwarenerzeuger R. J. Reynolds gekauft. Auf der Homepage findet man nichts darüber. Stattdessen ist von einer freundlichen Kleinfirma die Rede, von Szene- und Naturkostläden, von Melancholie und Träumen.

Was ist an Zusatzstoffen eigentlich so schlimm? Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat im Rahmen des EU-Projekts PITOC (Public Information Tobacco Control) einen Report über Zusatzstoffe in Tabak erstellt. Es werden unter anderem Glycerin und Ammoniumverbindungen beigemengt, aber auch Zucker und Lakritz. Alle Zusatzstoffe sind für die Verwendung in Lebensmitteln zugelassen. Essen und Rauchen ist aber nicht dasselbe. Welche Auswirkungen das Inhalieren der Verbrennungsprodukte hat, darüber gibt es kaum Forschungsergebnisse. Sie sind vermutlich nicht gesund. Tabak ist es ohnehin nicht. Das Deutsche Krebsforschungszentrum bemängelt, dass Zusatzstoffe das Rauchen angenehmer machen. So könnten Menschen zu Rauchern werden, die Zigaretten sonst eklig finden würden.

Das Logo von American Spirit ist ein Indianer mit Federschmuck. In seiner Hand eine lange Pfeife. Karl-May-Filme, Friedenspfeifen, Pierre Brice als Winnetou. Indianer als edle Wilde, ein positives Stereotyp, das oft benutzt wird. Sortennamen wie Pueblo, Manitou oder Mohawk klingen wie europäische Indianer-Klischees.

Warum kommt Tabak mit Indianern bei Rauchern so gut an? Der Mann aus der PR-Abteilung von Pöschl Tabak weiß es auch nicht genau. „Das ist so wie Mönche auf Bierflaschen“, erklärt er. „Die Mönche haben mit dem Bier angefangen, die Indianer mit dem Rauchen.“

Ursprünglich wurden Zigaretten auch mit ihren gesundheitlichen Vorzügen beworben. Da hieß es, sie würden die Verdauung fördern und die Nerven beruhigen. Als klar wurde, dass Rauchen schädlich ist, tauchten die Cowboys in der Zigarettenwerbung auf, die Piloten, die Abenteurer. Es war ein Trick. Wenn niemand mehr daran glaubt, dass Rauchen gesund ist, wofür stehen Zigaretten dann? Für Gefahr. Die lässt sich auch verkaufen, kein Problem. Der alte Sigmund Freud. Todestrieb, Lebenstrieb. Menschen vereinen immer beides in sich.

Heute werden Raucher sozial stigmatisiert. Erfolgreich, das sind nicht mehr die Verwegenen, die Mutigen, die Risikofreudigen. Erfolgreich ist, wer seine Ressourcen optimal nutzt. Alles kann prognostiziert und evaluiert werden. Rauchen rechnet sich nicht. Es kostet viel, verringert Leistungsfähigkeit und Lebenszeit.

Indianer sind die Gegenspieler der Cowboys, kommen aber in denselben Geschichten vor. Sie stehen für Freiheit, sind Draufgänger. Indianer werden aber mit einer Lebensweise assoziiert, die auf einen bewussten Umgang mit Körper, Geist und Natur ausgerichtet ist. Der Indianer bedient den Wunsch nach Ausbruch und Sicherheit gleichermaßen und verspricht so die Auflösung eines inneren Konflikts. Er ist eine Fortführung der alten Abenteurer-Motive, fügt aber die Bedeutungsebene Verantwortung hinzu. Der Indianer ist eine Reaktion auf das schlechte Image, das Rauchen heute hat.

Die Motive auf herkömmlichen Tabaksorten erinnern daran, dass sie früher aus den Kolonien nach Europa kamen. Ein Löwe, ein Elefant, eine Trommel oder Männer in orientalischen Pluderhosen verströmen Exotik. Der Indianer ist auch exotisch. Den Werbeaussagen der Tabakfirmen zufolge, steht er für den Respekt vor dem traditionellen Gebrauch von Tabak. Ernst kann das allerdings nicht gemeint sein. Würden wir das gewohnheitsmäßige Rauchen aufgeben und Tabak nur zu rituellen Anlässen konsumieren, wäre das wohl kaum im Sinne der Hersteller.