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Archiv-Artikel

Die Kolbenfresser

MAIS Aktivisten stürmten Äcker, Käufer wehrten sich – selbst die CSU machte mit. Bis Monsanto aufgab: Erstmals seit zwanzig Jahren wird in Deutschland keine Gentech-Pflanze angebaut. Die Moral einer Konsumschlacht

Gegen Gentechnik

■ Der Plan: 2012 wurden Gentech-Pflanzen auf deutschen Äckern nur zu Testzwecken angebaut. Dieser Tage sollte auf 8.000 Quadratmetern in Sachsen-Anhalt Winterweizen gesät werden, der dank Gentechnik mehr Körner und Eiweiß liefern soll.

■ Der Stand: „Unser Freilandversuch wird in diesem Jahr leider nicht stattfinden“, sagte Pressesprecher Roland Schnee vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben der sonntaz. Er begründete das mit den Zerstörungen von Freisetzungsversuchen durch militante Gentechnik-Gegner. Sie hätten dazu geführt, dass „es in Deutschland kaum noch Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen gibt“. Damit haben alle Inhaber einer Freisetzungsgenehmigung ihre Versuche für 2013 abgesagt. In Deutschland wächst dieses Jahr keine einzige gentechnisch veränderte Pflanze unter freiem Himmel.

■ Der Hintergrund: Der Versuch war auf Flächen der Firma BioTechFarm in Üplingen geplant. Deren Geschäftsführerin, Kerstin Schmidt, sagte der sonntaz: „Wir würden kein Geschäft machen mit nur einem einzigen Versuch.“ Der technische und personelle Aufwand lohne sich nicht.

AUS BORKEN UND BERLIN JOST MAURIN

Ursula Lüttmer-Ouazane hat verloren. Erst einmal.

Lüttmer-Ouazane, 54, konservatives blaues Hemd, weiße Stoffhose, ist Geschäftsführerin der deutschen Niederlassung von Monsanto, dem größten Saatgutproduzenten der Welt: rund 21.000 Mitarbeiter in 66 Ländern, im vergangenen Geschäftsjahr 2,5 Milliarden Dollar Gewinn. Sie fährt einen Audi A6 in Chefschwarz mit Ledersitzen und Rückfahrkamera. Sie hat ein Loft im, wie sie sagt, „guten Teil“ von Essen und einen englischen Titel in der E-Mail-Signatur, der wichtig klingt.

Doch heute sieht sie müde aus. Oft sitzt sie gebeugt vor dem Tisch. Lüttmer-Ouazane, das Haar leicht angegraut, lacht wenig während des Gesprächs in einem Konferenzraum des Unternehmens. Es geht ja um ihre größte Niederlage: Auf Deutschlands Feldern wachsen 2013 das erste Mal seit zwanzig Jahren keine gentechnisch veränderten Pflanzen. Niemand will die Früchte essen, bei denen Monsanto Marktführer ist.

„Es ist schade“, sagt sie.

Heike Moldenhauer hat gewonnen. Erst einmal.

Moldenhauer ist 49 und Abteilungsleiterin Gentechnik beim Bund für Umwelt und Naturschutz, dem BUND, etwa 500.000 Mitglieder, 2.000 Kreis- und Ortsgruppen in Deutschland. Entspannt und frisch geschminkt sitzt sie am Schreibtisch. Sie ist gerade mit dem Fahrrad vom Schwimmen gekommen und lacht viel, wenn sie erzählt. Seit 2001 ist Moldenhauer beim BUND, der die Gentechnikdebatte maßgeblich beeinflusst hat.

„Dass wir es geschafft haben, den Protest in den politischen Mainstream zu bringen – da geht mir heute noch das Herz auf“, sagt sie.

MON810, Bt176: im Kampf mit Buchstaben und Zahlen

Es war auch ein langer Kampf von Aktivisten und Verbrauchern, der dazu geführt hat. Eine Debatte darum, wie groß der Nutzen sein muss, damit eine Mehrheit bereit ist, mögliche Schäden zu akzeptieren. Wie haben sie das geschafft? Und was lässt sich daraus für künftige Protestbewegungen lernen?

Die Debatte erreicht den Mainstream 1996: In der Nacht des 5. November läuft der Frachter „Ideal Progress“ in den Hamburger Hafen ein. Unten, im schmutzigen Elbwasser, tanzen kleine Schlauchboote der Umweltorganisation Greenpeace auf den Wellen. Die Aktivisten projizieren die Parole „Kein Gen-Soja in unsere Lebensmittel!“ auf die Bordwand. Die „Ideal Progress“ bringt die ersten gentechnisch veränderten Sojabohnen aus den USA nach Deutschland.

Das Saatgut stammt von Monsanto. Seine Wissenschaftler hatten winzige Metallteilchen mit dem Gen eines Bodenbakteriums beschichtet und dann mit hohem Druck in Zellen der Pflanze geschossen. Das hat die Soja unempfindlich gegen Monsantos Unkrautvernichtungsmittel „Roundup“ gemacht.

Umweltschützer blockieren weitere Schiffe, starten eine europaweite Kampagne gegen die Soja-Importe, halten Mahnwachen vor Lebensmittelkonzernen wie Nestlé, damit sie diese Bohnen nicht in ihren Produkten verwenden. Das wichtigste Argument der Aktivisten: Die Soja sei nicht genug getestet. Möglicherweise löse sie Allergien aus. Und niemand könne sich davor schützen, weil Gentech-Produkte nicht gekennzeichnet werden müssen.

So bringen die PR-Profis der finanzstarken Umweltorganisationen das Thema auch in die Mainstream-Medien. Ergebnis: Unterstützten oder tolerierten 1996 nach einer Umfrage im Auftrag der EU-Kommission noch 56 Prozent der Deutschen Gentechnik in der Landwirtschaft, sind es drei Jahre später nur noch 49 Prozent.

Ursula Lüttmer-Ouazane ist trotzdem voller Hoffnung. Für ihre Karriere und – das hängt zusammen – für die Gentechnik.

Obwohl sie nicht studiert hat und eine Frau ist, hat sie sich im konservativen Milieu der Chemiebranche zur Produktmanagerin für Saatgut bei einem Vorläuferunternehmen des Schweizer Großkonzerns Syngenta hochgearbeitet. „Man muss aktiv sich bewegen wollen“, sagt Lüttmer-Ouazane. Die gelernte landwirtschaftlich-technische Assistentin war immer bereit, den Ort, den Job zu wechseln, wenn die Karriere es verlangte: erst in Deutschland, dann in Frankreich, kurz in den USA.

Aber sie will höher hinaus. Dazu braucht die Managerin Erfolge. Sie setzt auf neue Produkte wie den Mais Bt176. Gentechnisch so verändert, dass er ein Insektengift produziert.

So wird in den folgenden Jahren diskutiert: mit Buchstabenkombinationen, die Getreiden angeheftet werden. Bt176, MON810.

Heike Moldenhauer hört in Seminaren ihres Philosophiestudiums zum ersten Mal von der neuen Technologie. Das macht man nicht, denkt sie. So geht man mit Natur nicht um. Sie findet es anmaßend, Pflanzen umzubauen – auf menschliche Bedürfnisse, die sie für zweifelhaft hält. Geht es doch um die Bedürfnisse der Agrarindustrie, die aus wirtschaftlichen Gründen über Jahre auf denselben riesigen Feldern die gleichen Pflanzenarten anbaut. In solchen Monokulturen können sich Schädlinge und Krankheiten schneller ausbreiten. Auf diesen Feldern überleben weniger Tier- und Pflanzenarten.

„Ich bin wertkonservativ. Bewahren und erhalten, das ist eher meins. Je mehr ich über die Gentechnik wusste, desto empörter war ich“, sagt Moldenhauer. Sie musste die Empörung mit ihren Mitstreitern jetzt auf die Buchstabenkombinationen übertragen. Es gelang ihr, indem sie die Empörung zur Angst machte.

1997 genehmigt die EU den Anbau von Bt176 – erstmals darf eine gentechnisch veränderte Pflanze zu kommerziellen Zwecken in der Europäischen Union angebaut werden. Ursula Lüttmer-Ouazane verteilt das Saatgut an Landwirte. Und die zeigen sich hochzufrieden, erzählt sie. „Das war damals ein gutes Gefühl. Wir waren schon euphorisch.“ Endlich ein effizientes Mittel gegen die Schmetterlingsart Maiszünsler, die auf Hunderttausenden Hektar in Europa die Ernte dezimiert, indem sie sich durch den Stängel frisst. Pestizide seien keine gute Option, weil sich die Larven unter den Blättern der Pflanzen vor den Chemikalien versteckten.

Mit denselben Argumenten will Lüttmer-Ouazane den Bauern später bei Monsanto den Gentech-Mais MON810 verkaufen. Auch MON810 ist gegen den Maiszünsler resistent; neben dieser Pflanze ist in der EU bislang nur noch eine gentechnisch veränderte Kartoffel für den kommerziellen Anbau zugelassen. Der Zünsler, so sagt Lüttmer-Ouazane noch heute, verursache den Landwirten in Deutschland jährlich 18 Millionen Euro Schaden – was sich durch den Gentech-Mais verhindern ließe.

Doch die Managerin räumt nun auch ein: „Die Landwirtschaft hat die Notwendigkeit nicht gesehen.“

MON810 und Bt176 sind Produkte, die in Deutschland kaum jemand braucht. „Wenn die Bauern oft genug die Früchte auf den Feldern wechseln, bauen sich die Schädlingspopulationen gar nicht so stark auf, dass man diesen Mais benötigt“, sagt Agrarwissenschaftler Friedhelm Taube von der Universität Kiel. Wer dagegen über Jahre Mais auf demselben Acker aussät, ist eher auf Gentech-Pflanzen angewiesen.

Im Mittleren Westen der USA, wo die Pflanze in gigantischen Monokulturen wächst, sind viele Farmer dankbar für MON810. In Deutschland mit seiner kleinteiligeren, vielfältigeren Landwirtschaft wird er kaum nachgefragt. Es lohnt sich für die Bauern nicht, höhere Preise für Gentech-Saatgut zu bezahlen. Sie wollen auch nicht das hohe Risiko eingehen, von Nachbarn verklagt zu werden, die ohne Gentechnik arbeiten. Die haben laut Gesetz Anspruch auf Schadenersatz, wenn Gentech-Pollen auf ihre konventionellen Felder fliegen.

Die Bauern haben auch keine Lust, die Leute in den Dörfern gegen sich zu haben. In der Bevölkerung gibt es keine Mehrheit für die Gentechnik. Zwar verändert der Mensch das Erbgut von Pflanzen schon seit Jahrtausenden, indem er Pflanzen miteinander kreuzt. Aber der Zucht sind natürliche Grenzen gesetzt: Sind die Arten nicht nah genug miteinander verwandt, lässt sich ihr Erbgut nicht mischen. Gentechnik bricht diese Barriere.

Eier aus Legebatterien? Steht nicht auf der Packung

Das ist einer der Gründe, weshalb die Technologie vielen Angst macht. 2010 etwa zeigt eine Umfrage im Auftrag der EU-Kommission, dass 69 Prozent der Deutschen glauben, gentechnisch veränderte Lebensmittel seien „nicht gut“ für sie und ihre Familien. Viele glauben sogar, dass Gentech-Essen Krebs verursachen könnte. Und in einer repräsentativen Erhebung von Juni 2013 finden 71 Prozent der Befragten, dass Gentechnik in der Landwirtschaft verboten werden sollte, „weil sie Risiken bringt, die wir nicht überblicken können“.

Aktivisten wie die des BUND können das nutzen. Heike Moldenhauer behauptet nie, dass Gentech-Essen die Gesundheit schädige. Sie sagt: „Die berühmte Risikofrage ist nicht abschließend beantwortet.“ Das reicht.

Die entwarnenden Tierversuche mit Gentech-Pflanzen überzeugen sie nicht: Sie seien mit in der Regel dreißig Tagen zu kurz, nicht auf den Menschen übertragbar und von den Herstellern selbst in Auftrag gegeben. Und es gebe andere Studien, in denen mit Gentech-Mais gefütterte Ratten Tumore entwickelt hätten. Ja, die Experimente seien umstritten, etwa weil die Zahl der Versuchstiere zu klein war, um allgemeingültige Ergebnisse zu erzielen. Letztlich gibt es keinen Beweis dafür, dass Gentech-Essen gefährlich ist. Aber, argumentiert Moldenhauer, die Industrie könne eben nicht belegen, dass ihre Pflanzen sicher seien.

„Es gibt Studien und Gegenstudien“, sagt der österreichische Sozialforscher Franz Seifert, der die Entwicklung der Gentechnik in der EU beobachtet. „Der Mainstream der Risikoforschung glaubt zwar nicht an die viel beschworenen Gefahren, doch ist die Wissenschaft hier hoch politisiert, somit heillos zerstritten und unfähig, definitive Antworten zu geben.“ Es bleibt also zumindest theoretisch ein Risiko, auch wenn es sehr unwahrscheinlich ist. Mit dieser Angst kann man arbeiten.

Denn: Wofür sollte man das Risiko in Kauf nehmen?

Gentech-Pflanzen haben kaum Vorteile für den Verbraucher. Ein Gentech-Maiskolben schmeckt wie ein konventioneller. Der Konsument hat nichts davon, dass der Bauer mit dem Mais aus dem Labor Schädlinge in den Griff bekommt. Und da der Maiszünsler in Deutschland nur einen kleinen Teil der Anbaufläche befällt, wäre Gentech-Mais lediglich unwesentlich billiger – wenn überhaupt.

Gute Voraussetzungen für die Aktivisten. Aber bloß weil viele Käufer etwas nicht mögen, heißt das nicht, dass es das Produkt nicht gibt. In der Praxis können Verbraucher oft gar nicht wählen, weil ihnen die Industrie verheimlicht, was genau sie kaufen. Dass für die Hähnchenbrust Tiere mit Antibiotika vollgepumpt wurden, dass die Eier in Keksen aus üblen Legebatterien kommen, steht nicht auf der Packung. Anders als bei der Gentechnik: Wenn ein Lebensmittel zu mehr als 0,9 Prozent aus gentechnisch veränderten Pflanzen besteht, muss das gekennzeichnet werden. So beschließt es die EU 2003.

Ursula Lüttmer-Ouazane will sich da nicht geschlagen geben. Die Schlacht um die Kennzeichnungspflicht haben die Monsanto-Lobbyisten nicht völlig verloren: Sie setzen immerhin durch, dass tierische Lebensmittel wie Milch oder Fleisch nicht als „Gentech“ gekennzeichnet werden müssen, wenn die Tiere Gentech-Futter gefressen haben. Der milliardenschwere Futtermittelmarkt, etwa für gentechnisch veränderte Soja aus Südamerika, bleibt offen.

2004 lassen die deutschen Behörden mehrere Maissorten für den Anbau zu; 2005 säen Bauern die Samen das erste Mal zu kommerziellen Zwecken aus. Ab jetzt vergrößert sich die Anbaufläche von Jahr zu Jahr: auf rund 3.170 Hektar im Jahr 2008. Zwar nur 0,15 Prozent aller Maisäcker, aber dennoch ein Gebiet größer als die Insel Norderney. Das zahlt sich auch für Lüttmer-Ouazane persönlich aus: Sie steigt zur Chefin des Deutschland- und Österreichgeschäfts von Monsanto auf.

In dieser Zeit wächst ihr MON810 auch in einem Dorf östlich von Berlin. An einem Tag im Sommer 2007 demonstrieren Hunderte Aktivisten dagegen. Plötzlich rennen sie los, die paar Polizisten können sie nicht stoppen, sie stürmen den Acker, während über ihnen ein Polizeihubschrauber kreist. Auf einem Video der Aktion sind Aktivisten zu sehen, die die menschenhohen grünen Pflanzen niedertreten. „Wie korrupt ist das System? Ich fühle mich absolut im Recht, das hier zu tun“, sagt eine Frau, die gerade Pflanze um Pflanze umknickt. Am Ende werden mehrere Hektar MON810 platt und 66 Aktivisten festgenommen sein.

Diese „Feldbefreiung“ hat die Initiative „Gendreck weg!“ organisiert. Ihre Anhänger sind die Ersten, die ab 2005 in Deutschland öffentlich Gentech-Felder zerstören. Sie nehmen in Kauf, verhaftet zu werden. So bringen sie den Kampf gegen Gentechnik in die Medien, und auch die Gerichtsprozesse danach nutzen sie, um ihre Argumente der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Zu allgemeiner Ablehnung kommt radikaler Protest

Felder zu finden, wird jetzt leicht: Sie werden von einer Bundesbehörde in einem Standortregister veröffentlicht – wie von Moldenhauer und anderen Umweltschützern gewünscht. Bis heute registriert der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter rund 100 Feldzerstörungen.

Manche davon hätten die Zulassung um ein Jahr verzögert, sagt Lüttmer-Ouazane: Wissenschaftler begründen mit den Zerstörungen, dass sie weniger und schließlich keine Feldversuche in Deutschland organisierten. Zur öffentlichen Ablehnung kommt also radikaler Protest, der die Industrie aufhält.

Dann, 2009, passiert etwas Unerhörtes: Die CSU, eine Regierungspartei, kippt in der Gentech-Frage.

Dazu hatte auch Heike Moldenhauer vom BUND beigetragen. Gemeinsam mit der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der AbL, organisiert sie Schulungen für einige hundert Multiplikatoren wie engagierte Bauern und lokale Umweltschützer: Was sagen wir? Was sagen die anderen? Wie widerlegen wir das?

Ziel ist, dass sich immer mehr Landwirte und Bodeneigentümer schriftlich verpflichten, keine Gentech-Pflanzen zu verwenden. So entstehen „Gentechnikfreie Regionen“: Gemeinden, Landkreise oder Naturräume, auf deren Agrarfläche zu mindestens zwei Dritteln Gentech-Saatgut ausgeschlossen ist. Für Monsanto-Frau Lüttmer-Ouazane ein Riesenproblem: „Da wird die potenzielle Fläche für unsere Produkte immer kleiner, und das muss man dann der Führungsetage in Amerika melden.“

Finanziert wurden die Schulungen und andere Hilfen für die Gentechnikfreien Regionen vom Bundesumweltministerium unter dem Grünen Jürgen Trittin mit rund 220.000 Euro. Ein Klacks im Vergleich zu dem, was Gentech-Befürworter vom Staat erhalten. Aber Moldenhauer und ihre Kollegen machen eine Menge aus dem Geld: Die geschulten Aktivisten organisieren in ihren Regionen selbst Hunderte Veranstaltungen gegen Gentechnik. Sie fruchten vor allem im ureigenen CSU-Milieu: in den bayerischen Dörfern, bei den Bauern.

Bei einem Vortrag in Niederbayern spürt das Lüttmer-Ouazane. Monsanto hat auch dort eine Zuchtstation. Als die Managerin den Leuten des Gartenbauvereins sagt, dass ihr Konzern hier keine Gentechnik anbaue, glaubt sie zu sehen, wie eine Last von ihnen abfällt. Zu starke Eingriffe in die Natur – diese Angst teilen bayerische Bauern und brandenburgische Anti-Gentech-Aktivisten. Nur dass man in Bayern öfter von der „Schöpfung“ spricht.

90

Prozent der Anbauflächen für Mais, Soja, Raps, Zuckerrüben und Baumwolle werden in den USA für den Anbau von Gentech-Pflanzen genutzt

Quelle: US-Agrarstatistikamt

35

Millionen Tonnen größtenteils gentechnisch veränderte Sojabohnen werden jährlich in die EU eingeführt und zu Futtermittel verarbeitet

Quelle: Bundesregierung

12

Prozent der globalen Ackerfläche wurden 2012 für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen genutzt. An der Spitze standen die USA, Brasilien und Argentinien

Quelle: International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications

78

Prozent der Deutschen lehnen gentechnisch veränderte Lebensmittel ab, auch wenn sie billiger sind

Quelle: Slow Food Deutschland e.V.

66

Prozent der Deutschen glauben, dass von der Gentechnik gesundheitliche Gefahren ausgehen

Quelle: Slow Food Deutschland e.V.

22,6

Prozent Marktanteil hatte Monsanto 2007 im Bereich Saatgut – den größten unter den Agrar-konzernen, die Saat gentechnisch veränderten

Quelle: Statistisches Bundesamt

„Wir haben in Bayern die ersten Freisetzungsversuche gemacht, die ersten Fütterungsstudien. Das hat sich in fünf Jahren vollkommen gedreht“, sagt Lüttmer-Ouazane. Dass die Grünen gegen das Saatgut waren, war nachvollziehbar. Aber die CSU?

Deshalb war der 14. April 2009 für die Monsanto-Managerin ein Schock: In den Scheunen mancher Bauern lagern Säcke voller MON810. Die Aussaat soll in wenigen Tagen beginnen – mit so viel Gentech-Saatgut wie noch nie, wie Lüttmer-Ouazane hofft. Dann tritt Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner in Berlin vor die Presse. Deutsche, aber auch viele ausländische Journalisten drängen sich in einen überfüllten Konferenzraum des Ministeriums. Aigner wirkt unsicher, die gelernte Elektrotechnikerin ist gerade sechs Monate im Amt, von Landwirtschaft hatte sie vorher eigentlich keine Ahnung. Sie klammert sich an den Zettel, den ihre Beamten geschrieben haben: Es gebe neue Hinweise, dass das Insektengift von MON810 den Zweipunktmarienkäfer und Wasserorganismen schädige, sagt Aigner. Sie nutzt eine Ausnahmeregel und verbietet den Anbau der von der EU zugelassenen Pflanze in Deutschland.

Zur Angst kommt nun auch noch ein bedrohter Käfer.

Lüttmer-Ouazane weiß, dass Aigner spricht, aber Horst Seehofer handelt. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende steht vor einer Landtagswahl – mit schlechten Umfragewerten. Er sieht, dass seine gentechnikfreundliche Haltung Stimmen kosten könnte.

Die Managerin sitzt im Monsanto-Plattenbau in Düsseldorf, als sie von Aigners Entscheidung erfährt: „Ich habe mich natürlich geärgert. Zumal Deutschland immer für Pragmatismus stand. Wir hatten intern immer gesagt, dass wir in Deutschland auf einem besseren Weg als in Frankreich waren. Nun mussten wir melden: Deutschland ist auch aus dem Spiel.“ Wenn Umweltbewegte, bayerische Konservative und die Mehrheit der Bevölkerung einer Meinung sind: was soll sie da noch machen.

Ende November 2010 weist das Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen das restriktive Gentechnikgesetz ab – und folgt damit auch dem Rat von BUND-Expertin Moldenhauer, die in dem Prozess als Sachverständige auftritt. Monsanto-Konkurrent BASF gibt im Januar 2012 auf und stoppt den ohnehin vor sich hinsiechenden Anbau seiner Gentech-Kartoffel Amflora.

Und Monsanto? Zeigt der taz im Sommer 2013 eine Zuchtstation im westfälischen Borken.

Linealgerade wachsen die Maispflanzen in den Himmel, kein Unkraut ist zu sehen. „Sieht gut aus“, sagt Lüttmer-Ouazane. Dabei gibt es hier nur durch konventionelle Kreuzung gezüchtete Pflanzen – wie auch in den anderen zwei deutschen Zuchtstationen. Lüttmer-Ouazane will Monsanto jetzt als „ganz normale Züchterfirma“ darstellen, die in Europa 99,5 Prozent ihres Umsatzes mit konventionellem Saatgut mache. Darum hat sie der taz im Mai 2013 über den Anbau von Gentech-Pflanzen in Deutschland gesagt: „Wir haben verstanden, dass das im Moment nicht die breite Akzeptanz hat.“ Wenig später zieht Monsanto vier seiner acht Zulassungsanträge für den Anbau in der EU zurück, die anderen sollen bald folgen. Verlängern will der Konzern die Lizenz für MON810, die in Deutschland außer Kraft gesetzt ist.

Ist dieser Sieg endgültig?

„Der kommerzielle Anbau in Europa wurde – mit der Ausnahme Spaniens – verhindert. Auch ist die Zahl der Feldversuche stark, vielerorts sogar bis null, zurückgegangen. Diese Ziele hat die Protestbewegung erreicht“, sagt Sozialwissenschaftler Seifert. Zwar haben außer Monsanto noch andere Firmen bei der EU Anträge für den Anbau von Gentech-Pflanzen laufen. Aber sie kommen kaum voran.

Dennoch gelangen riesige Mengen Gentech-Pflanzen als Viehfutter ins Land: Achtzig Prozent der etwa aus Südamerika importierten Futterproteine sind dem Deutschen Verband Tiernahrung zufolge gentechnisch verändert. In Brasilien, Paraguay und Argentinien richten die Soja-Monokulturen großen Schaden an. Nur eben nicht hier.

Dass Gentech-Pflanzen sogar als Viehfutter für Menschen gefährlich sind, behauptet kaum jemand. Doch Heike Moldenhauer, die BUND-Frau, ist skeptisch. Vielleicht muss sie das sein. An der Debatte hängt ihr Job. Aber sie hat auch Argumente: „Die Schlacht ist nicht gewonnen, weil einfach zu viel Geld der Gegenseite darin steckt.“ Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA hält Moldenhauer für den nächsten Trick. Sie befürchtet, dass alle Gentech-Pflanzen, die in den Vereinigten Staaten zugelassen sind, auch von den Europäern erlaubt werden müssen.

Ursula Lüttmer-Ouazane bestätigt, dass auch Monsanto sich von dem Abkommen schnellere Zulassungen für seine Produkte erwartet. Aber Gespräche über Freihandelsabkommen seien früher schon gescheitert. Ob der Vertrag zustande kommt, ist ungewiss – und was er beinhaltet.

Deshalb setzt Monsantos Geschäftsführerin darauf, dass sich doch noch eine Nachfrage für Gentech-Saatgut entwickelt. Monsanto hat schon einmal einen Rückzug angetreten – und überwunden. 2004 stellte der Konzern unter anderem wegen Vorbehalten der Backindustrie die Entwicklung von Gentech-Weizen in Nordamerika ein. Einige Jahre später aber hätten Anbauverbände aus den USA, Kanada und Australien gebeten, solche Produkte auf den Markt zu bringen, sagt Lüttmer-Ouazane. Jetzt experimentiert Monsanto wieder mit Gentech-Weizen.

„Das könnte es auch in Europa werden“, sagt sie. Das ist Lüttmer-Ouazanes Traum. Mehr nicht.

Denn in der Berliner BUND-Zentrale sitzt noch ihre Gegenspielerin Moldenhauer. Sie wartet nur darauf, dass Lüttmer-Ouazane den nächsten Zug macht. Auf einen Anlass, die Angst zu erhalten. Damit sie die Siegerin in diesem Kampf bleibt.

Jost Maurin, 39, ist taz-Redakteur im Ressort Wirtschaft und Umwelt. Er hat keine Angst, „Genfood“ zu essen, ist aber gegen Monokulturen, die die Natur zerstören