: Starke Frau an seiner Seite
In kürzester Zeit ist Merkel zur engsten Verbündeten von Bush geworden. Eine Probe auf die neue Harmonie steht noch aus
VON CHRISTIAN SEMLER
Sanft in der Umgangsform, hart, wenn es um Inhalte geht. So sollen wir uns die Bundeskanzlerin vorstellen, wenn es um ihr Verhältnis zu dem amerikanischen Präsidenten geht. In dem von Merkel propagierten Selbstbild figurieren nach zwei Amerikabesuchen Offenheit und Bereitschaft zum Dissens ebenso als Tugenden wie Freundschaft und die Beschwörung gemeinsamer Werte. George W. Bush hat jetzt – im Interview mit Sabine Christiansen – diesem Selbstbild ein paar kräftige Züge hinzugefügt. Angela, man ist mittlerweile zum Vornamen übergegangen, sei eine sehr starke Frau. Unter ihrer Führung, so Bush, werde Deutschland wieder zum Partner „in leadership“ werden.
Nur Lockerungsübungen nach den Jahren der Schröder’schen Verkrampfung, nur eine Verbesserung der Atmosphäre auf Regierungsebene? Das auch. Aber die Avancen Bushs haben eine nüchterne Einschätzung der europäischen Hauptverbündeten der USA zum Hintergrund. In Spanien regieren seit zwei Jahren Irakkriegsgegner, soeben ist Bush-Freund Berlusconi in Italien abgewählt worden und Blairs, des treuesten der Treuen, letztes Stündchen naht. Deshalb ist es unabweisbar, die deutsche Bundeskanzlerin als Verbündete zu gewinnen – freilich ohne barsche Vereinnahmung. Die zentrale rhetorische Figur Bushs hierbei ist das Zugeständnis, dass „die Deutschen“ den Krieg nicht wollen, egal, wie gerechtfertigt er auch in seinen, Bushs Augen sein mag. Es liegt einfach an ihrer Geschichte, ist in ihre „Natur“ übergegangen. Also Schwamm drüber, es gibt ja auch andere Formen der Unterstützung – ökonomische, friedenssichernde.
Im Fokus steht hierbei die Politik gegenüber dem Iran und seinem Programm der nuklearen Anreicherung. Bush wird nicht müde, Deutschlands und damit Merkels Rolle bei der Anstrengung hervorzuheben, eine gemeinsame Position des UNO-Sicherheitsrats zu erreichen. Dabei betont er den Vorrang diplomatischer Mittel, ohne zukünftige militärische Aktionen als letztes Mittel auszuschließen.
Bislang gehörte es zu den Grundsätzen deutscher Iranpolitik, auf eine Entschärfung des Konflikts dadurch zu setzen, dass direkte Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran befürwortet wurden. Von einer amerikanischen Sicherheitsgarantie, einem Nichtangriffsabkommen war die Rede, von Verhandlungen, die die ganze Region betreffen sollten. Die USA lehnten solche direkten Gespräche ab. Jetzt unterstützt Deutschland eine Resolution Großbritanniens und Frankreichs nach Kapitel VII der UNO-Charta, die von den USA mitgetragen wird. Kapitel VII setzt eine Bedrohung des Weltfriedens voraus und enthält die Möglichkeit aller Maßnahmen bis hin zum militärischen Eingreifen. Angeblich soll diese Resolution so unverbindlich formuliert werden, dass Russland und China, die beiden strikten Sanktionsgegner im Weltsicherheitsrat, zustimmen können. Was aber, wenn die Resolution doch an Russland und China scheitert oder wenn sie zwar angenommen wird, aber der Iran nicht reagiert? Wenn die USA nach dem Scheitern einer weiteren, schärferen Resolution dann eine Koalition „der Willigen“ außerhalb eines Mandats des Sicherheitsrates anstreben? Wie wird dann unsere starke Kanzlerin reagieren?
Bislang hat die Bundesregierung erklärt, sie werde nur im Rahmen der Beschlüsse des Sicherheitsrats tätig werden. Die stets wiederholte Argumentation der deutschen Seite lautete, man müsse dem Iran vor Augen führen, dass eine internationale Isolation nicht im Interesse des Landes liege. Also ein Appell an rationales Politikverständnis auch bei den iranischen Gottesmännern. Die amerikanische Politik hingegen zielt auf einen Macht- und Systemwechsel im Iran, allerdings ohne klar zu machen, wie dieses Ziel zu erreichen sei. Bushs fälschlich als „Charmeoffensive“ betitelte Werbungsaktion in Richtung Angela Merkel zielt auf das schweigende Einverständnis der Bundesrepublik mit den künftigen Schritten der amerikanischen Irakpolitik, zumindest auf die Neutralisierung der deutschen Position. Denn nichts war für die Irakpolitik der USA verheerender als Bundeskanzler Schröders kategorisches Nein! zur Beteiligung an der militärischen Intervention. Dieses Nein mag mit geheimem Vorbehalt geäußert worden sein. In der Öffentlichkeit kam es nicht diplomatisch herüber, nicht suaviter in modo, sondern hart und unbedingt. Es hatte unmittelbare Wirkungen auf das Verhältnis der Europäischen Union zu den USA. Es machte die Existenz zweier entgegengesetzter politischer Linien deutlich.
Jetzt erntet Angela Merkel nahezu unisono Lob dafür, wie sie Freundlichkeit mit Festigkeit paart. Schön, dass der gefrorene Boden zwischen den USA und Deutschland gelockert wurde. Das wird positive Wirkungen haben, auch im gesellschaftlichen Bereich. Allein die Probe auf die Festigkeit – sie steht noch aus.