: CDU will Wahlrecht entmannen
Fraktion beschließt, den entsprechenden Volksentscheid zu Makulatur zu machen. Beherrschender Einfluss der Parteien auf Kandidaten bleibt. Das werde sich rächen, warnt Mehr Demokratie
von Gernot Knödler
Das per Volksentscheid durchgesetzte Wahlrecht soll verändert werden, bevor es die Chance hatte, sich zu bewähren. Das hat die CDU-Bürgerschaftsfraktion am Montagabend beschlossen. Wie Fraktionschef Bernd Reinert mitteilte, haben alle Abgeordneten für die Änderungen gestimmt.
Reinert hatte wochenlang um die Zustimmung parteiinterner Kritiker geworben. Seinen Erfolg vermeldete er betont sachlich: „Die CDU-Fraktion hat heute einen in sich stimmigen Beschluss zur Änderung des Wahlrechts in Hamburg gefasst.“ Dieser Angriff auf den erklärten Willen des Volkes werde sich „bitter rächen“, warnte Hermann Granzow vom Verein Mehr Demokratie.
Der Entwurf, den die CDU mit ihrer Bürgerschaftsmehrheit zügig durchdrücken will, ändert das Wahlrecht an entscheidenden Stellen. Wie das Volk es wollte, soll auch in Zukunft ein Teil der Bürgerschaftsabgeordneten in Wahlkreisen gewählt werden, ein anderer über die Landesliste ihrer jeweiligen Partei. Das Häufeln und Verteilen von Stimmen auf unterschiedliche Kandidaten soll aber nur noch in den Wahlkreisen möglich sein.
Bei den Landeslisten müssen sich die WählerInnen – wie beim alten Wahlrecht vor dem Volksentscheid – für eine Partei entscheiden. Dabei legt die Partei im Voraus fest, wer zuerst ins Parlament kommt. Ziel sei es, „die Funktionsfähigkeit der Fraktions- und Parlamentsarbeit durch eine klare Richtungsentscheidung der Wähler zu erhalten“, argumentiert Reinert. Damit schaffe die CDU wieder sichere Tickets für den Einzug ins Parlament, kritisiert Mehr Demokratie. Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis durchfallen, können über einen guten Listenplatz trotzdem in die Bürgerschaft gelangen.
Beim Häufeln und Verteilen von Stimmen in den Wahlkreisen beschneidet der CDU-Entwurf den Einfluss der Wähler: Um von einem unteren Listenplatz nach oben rücken zu können, muss ein Kandidat eine Mindestzahl an Stimmen erhalten. Das schließe „einen unverhältnismäßig großen Einfluss kleiner Wählerzahlen aus“, argumentiert Reinert. Diese Hürde sei so hoch, „dass es praktisch kaum einem Kandidaten mehr gelingen wird, von einem hinteren Wahlkreislistenplatz ins Parlament zu kommen“, findet Mehr Demokratie. Hiermit gehe die CDU hinter ihren gemeinsam mit der SPD vorgebrachten Kompromissvorschlag zurück, der beim Volksentscheid durchfiel.
Insgesamt erlaube der CDU-Entwurf den Parteien wieder, den Kampf in den Wahlkreisen zu vermeiden und ganz auf die Landesliste zu setzen, warnt Mehr Demokratie. Kai Voet van Vormizeele, der Verfassungsexperte der CDU-Fraktion, rechnet dagegen mit einer „vollkommenen Umkehr des bisherigen Systems“. Entscheidend werde in Zukunft die Kandidatenaufstellung in den Wahlkreisen sein, nicht mehr die Kür der Landesliste, vermutet er.
Mehr Demokratie warnte, die Pläne der CDU ließen die Politikverdrossenheit wachsen. „Die Unverfrorenheit, mit der die CDU den 2004 erklärten Willen des Volkes in sein Gegenteil verkehrt, ist ein Angriff auf die politische Kultur der Hansestadt, die stets nicht nur nach Macht, sondern auch nach Recht fragt“, sagte der ehemalige Präsident des Rechnungshofes Granzow.