: Eine Festanstellung wird‘s nie geben
Derzeit zeigt das Hamburger Festival Freischwimmer auf Kampnagel, was die junge und freie Theaterszene jenseits der Stadttheater macht. Mit dabei sind Melanie Mohren und Bernhard Herbordt, die sich dem Trend zurück zum Dramentext entgegenstellen. Sie setzen auf Störmomente. Das Ziel: Fragen stellen, die sich nur im Theater stellen lassen
Auf der Bühne ein Tisch, ein Overhead-Projektor, zwei Leute. Wie bei einem wissenschaftlichen Vortrag sitzen sie da und reden über Menschen, die gerade nicht da sind und auch nicht mehr kommen werden. „Wonderland“ heißt das Stück, das derzeit in Hamburg beim Festival „Freischwimmer“ zu sehen ist. Realisiert wurde es vom Hamburger Künstler-Duo Melanie Mohren und Bernhard Herbordt.
Frau Mohren, Herr Herbordt, lassen sich beim diesjährigen Freischwimmer-Festival Tendenzen ausmachen, wie sich die Arbeit der freien Szene verändert?
Bernhard Herbordt: Es gibt bei Freischwimmer erstaunlich viele Sachen, die von einem Dramentext ausgehen.
Melanie Mohren: Bei unserem Studium in Gießen war das schon eine neue Tendenz. Wir hatten da auch ein Hamlet-Projekt. Obwohl wir es interessanter finden, den Schauspielern ihre Register zu nehmen, ihnen den gesicherten Boden des Dramentextes zu entziehen, damit die zu einer anderen Haltung kommen.
Mit welchem Gewinn?
Herbordt: Das Ziel ist, den Erwartungshaltungen Widerstände entgegenzusetzen, um dazu zu kommen, was sich erzählen lässt. Warum dieses Medium, warum ich, warum jetzt dieses Thema? Was kann das Theater machen, was man sonst nirgends machen kann? Das sind für mich die wichtigsten Fragen. Wir wollen das Theater als Medium ernst nehmen und Störmomente einbauen in das Tradierte.
Um dann zu einer höheren Authentizität zu kommen?
Herbordt: Authentizität weniger im Sinne von Privatheit, sondern dem Theaterraum gegenüber. Es geht darum, Fragen zu stellen, die sich nur im Theater stellen lassen.
Nämlich?
Herbordt: Die alte Frage nach Wahrheit und Lüge. Im Theater befinde ich mich ja nicht in einem Wirklichkeitsgefüge, es ist alles ein Gemachtes mit bestimmten Zielsetzungen. Die bestimmte Lesarten fordern.
Worum geht es in Ihrem Stück „Wonderland“?
Mohren: Wir wollten ein Stück machen über Provinzen und dabei den Provinzbegriff programmatisch begreifen als das Dezentrale. Wir sind anfangs auf der Bühne, was wir sonst nie machen. Da sitzen wir an einem Tisch und stellen all das vor, was wir nicht machen konnten. Dann kommt eine Tänzerin und tanzt das „Provinzsolo der Sinnfreiheit“. Es ist eine ständige Montage und Collage, bei ihr wie bei uns.
Herbordt: Der Abend kreist um Möglichkeiten, wie er hätte aussehen können: Es ist ein Stück im Konjunktiv. Provinz ist das, was außerhalb von einem Zentrum möglich sein kann.
Kapieren das die Zuschauer?
Mohren: Schauspieltheater ist oft langweilig, weil es auf den Kategorien des Verstehens basiert. Nach unseren Stücken kommen oft Leute und haben etwas anderes gesehen als das, was wir gemeint haben. Da kann sich die Wahrnehmung noch mal völlig umdrehen.
Herbordt: Das ist eine Bewegung zur bildenden Kunst, wo Kategorien des Verständnisses nebensächlich sind. Es ist eben keine in sich logisch gestaltete Erzählung.
Wie könnte es karrieremäßig für Sie idealerweise weitergehen?
Herbordt: Wir wollen unsere Arbeit weitermachen und uns weiterentwickeln. Idealerweise unter besseren Bedingungen mit möglichst wenig existenziellen Sorgen. Aber es ist eine bewusste Entscheidung für diese Arbeitsweise, die so nicht möglich wäre in einem Staatstheater. Eine Festanstellung wird‘s nie geben.
Interview: kli
„Wonderland“ ist heute um 21 Uhr auf Kampnagel zu sehen. Heute um 19.30 im Festivalprogramm: „Kann man können wollen“, eine Performance von Martin Clausen/Two Fish (Berlin)