Grün ist nur noch die Hoffnung

Grüne im Kieler Landtag zerlegen sich selbst: Wegen unüberbrückbarer Differenzen flieht Fraktionschefin Lütkes zurück ins Rheinland, ihr Gegenspieler Hentschel steht als Königinmörder da. Die CDU-SPD-Koalition kann sich auf ruhige Zeiten freuen

Von Sven-Michael Veit

Anne Lütkes gibt auf. Wegen „nicht überbrückbarer Differenzen“ kündigte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag ihren Rücktritt an. Auch ihr Mandat wird die 57-Jährige am 30. Mai niederlegen, weil sie „eine stete Auseinandersetzung in der Fraktion nicht verantworten möchte“. Sie wird das Land verlassen. Die Ex-Ministerin geht zurück nach Köln in ihre Anwaltskanzlei, die ihr Mann fünf Jahre allein betreiben musste.

Grund für diesen Schritt ist eine Niederlage in der vierköpfigen Fraktion am Montagabend. Lütkes wollte eine Zusage für die „dauerhafte Fraktionsführung“ bis zur nächsten Landtagswahl 2010. Die erhielt sie wegen erheblicher Meinungsunterschiede über die strategische Ausrichtung der Oppositionsarbeit gegen die schwarz-rote Koalition nicht. Es habe „keine direkte inhaltliche Kritik“ an Lütkes gegeben, berichtet Parteichef Robert Habeck: „Das war ein ganz normaler Machtkampf.“

Den hat ihr Gegenspieler Karl-Martin Hentschel offenbar gewonnen. Er hatte vor einem Jahr den Fraktionsvorsitz widerstrebend an Lütkes abgeben müssen. Als stellvertretende Ministerpräsidentin und Spitzenkandidatin im Landtagswahlkampf hatte sie nach der Niederlage der rot-grünen Koalition ihren Anspruch auf den Führungsposten durchgesetzt. Ihre Kritiker wusste die zuvor als Ministerin allseits gelobte Lütkes in dieser Rolle jedoch nicht zu überzeugen.

Im Landtag an der Kieler Förde stehen den 59 Abgeordneten der CDU-SPD-Koalition nur zehn Oppositionelle gegenüber: vier Grüne und vier Liberale sowie zwei Abgeordnete der Dänenpartei Südschleswigscher Wählerverband. In dieser Konstellation sei einer wie Hentschel, raunen prominente Grüne, „der Schlagkräftigere“. Gewöhnlich nehme der kein Blatt vor den Mund „und kann auch schon mal den Wadenbeißer geben“. Das sei wichtig auch in der Konkurrenz zu FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, der regelmäßig als Rhetoriker und Polemiker zu glänzen weiß. „Diesem Selbstdarsteller“ die Parlamentsbühne kampflos zu überlassen, „wäre fatal“.

Dennoch sei der Abschied von Lütkes „ein großer Verlust“, sagt Grietje Bettin, grüne Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein. Der Aderlass sei „schwer zu verkraften“, meint die grüne Europa-Abgeordnete Angelika Beer. Denn auch Klaus Müller scheidet zum 1. Juli aus der Politik aus. Der ehemalige Umweltminister geht als Chef der Verbraucherzentrale nach Nordrhein-Westfalen. Ohne ihre beiden profiliertesten PolitikerInnen, die zudem aus ihrer Regierungszeit viele Kontakte und erhebliches Fachwissen mitgebracht haben, „wird es schwerer für uns“, fürchtet Bettin.

Für die ohnehin schon zahlenmäßig übermächtige große Koalition unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hingegen, die seit einem Jahr im Land zwischen den Meeren regiert, würde es leichter. Da werde künftig „die Partei intensiver gefordert sein“, finden übereinstimmend Bettin und Habeck. „Wir müssen die Fraktion unterstützen und auch stärker in der Öffentlichkeit wirken“, kündigt der Parteichef an.

Die neue Fraktionsführung soll am 30. Mai gewählt werden, wenn die Nachrücker Angelika Birk und Detlef Matthiessen ihre Mandate antreten. Dem Vernehmen nach wird Hentschel kandidieren. Er war gestern zu keiner Stellungnahme zu bewegen.

Vordringlich sei es nun, „Gift und Galle aus der Partei zu verhindern“, warnt eine Spitzengrüne vor drohender Selbstzerfleischung: „Karl-Martin darf nicht zum Königinmörder abgestempelt werden.“ Der Kampf gegen die große Koalition müsse im Vordergrund stehen, immerhin stünden in zwei Jahren schon wieder Kommunalwahlen an.

Mit welchem Personal die Grünen in den Landtagswahlkampf 2010 gehen, sei jedoch vollkommen offen: „Da müssen wir uns völlig neu aufstellen.“