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Archiv-Artikel

Warnung vor neuer Hungersnot in Nordkorea

Human Rights Watch warnt nach der Ausweisung internationaler Nothelfer vor einem halben Jahr aus Nordkorea jetzt vor einer neuen Hungersnot. Zweifel an der Fähigkeit des Regimes, die eigene Bevölkerung ernähren zu können

TOKIO taz ■ Nordkoreas Bevölkerung muss seit Herbst 2005 wieder mit Lebensmittelcoupons auskommen. Mit Wiedereinführung des staatlichen Verteilungssystems wurden die Bauernmärkte und der Handel mit Getreide verboten. Doch Nahrungsmittelhilfe aus dem Ausland brauche man keine mehr, hatte Pjöngjang vergangenen Herbst entschieden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zog nach einem halben Jahr Bilanz: Das Versorgungssystem sei das „Rezept für ein Desaster“, heißt es in einem jetzt vorgelegten Bericht.

HRW bezweifelt, dass Nordkoreas Regierung die Bevölkerung ausreichend ernähren kann. Selbst in der Hauptstadt Pjöngjang, wo die Versorgung besser funktioniert, seien im April nur an zehn Tagen Nahrungsmittelrationen ausgegeben worden. „Die Regierung versucht offensichtlich die Uhr zurückzudrehen und verlorene Kontrolle zu gewinnen“, sagte Brad Adams, Asiendirektor von HRW. So wurde auch die Ende der 90er-Jahre gewährte Bewegungsfreiheit der Bürger beschränkt. Reisen in andere Landesteile müssen bewilligt werden. Während der großen Hungersnot (1995–1998) musste das Regime die Zügel lockern. Städter konnten sich auf dem Land Lebensmittel beschaffen oder die Bauernmärkte nach Essbarem abklappern. Mit den Einschränkungen von Handel und Bewegungsfreiheit sei dies jetzt nicht mehr möglich, so HRW.

Trotz des Handelsverbots mit Getreide sah die Caritas-Nordkorea-Expertin Kathi Zellweger dennoch bei einer kürzlichen Reise entsprechende Märkte. An Ständen in der Hauptstadt wurde allerdings kein Reis oder Mais mehr verkauft. Dafür – inmitten eines mehrheitlich chinesischen Sortiments – deutsche Dosenwurst und Schweizer Schokolade. Die Preise überstiegen bisweilen das Jahresgehalt eines nordkoreanischen Arztes.

Wie weit das Rationierungssystem landesweit und regelmäßig funktioniere, ist laut Zellweger schwer zu beurteilen. Als Direktorin für Internationale Zusammenarbeit bei Caritas Hongkong besuchte sie Nordkorea in den letzten zehn Jahren 50 Mal. Sie versteht einerseits den Wunsch der nordkoreanischen Behörden, nach zehn Jahren Nothilfe auf langfristige Entwicklungsprogramme umzuschwenken. Aber sie fragt sich auch, ob Nordkorea auf Nothilfe verzichten kann. Gefährdet seien insbesondere Heimkinder, Behinderte, Kranke und Alte. In den 90er-Jahren starben bis zu drei Millionen Menschen infolge des Hungers. Die Versorgungslage war so katastrophal, dass das stolze, abgeschottete Land erstmals ausländische Hilfe erbat.

MARCO KAUFFMANN