JÜRGEN GOTTSCHLICH ÜBER DIE TÜRKISCH-GRIECHISCHE ANNÄHERUNG : Entspannung in der Ägäis
Frieden schaffen mit immer weniger Waffen – das ist das erfreuliche neue Motto in den türkisch-griechischen Beziehungen. Der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Athen war Balsam für die griechische Seele in einer Zeit, in der das Land im übrigen Europa wie ein Paria behandelt wird. Mit einem Mal sieht die überwiegende Mehrheit der Griechen den türkischen Nachbarn nicht mehr als den Erzfeind, sondern als möglichen Retter in der Not an.
Kommt es zu der angestrebten Regelung über die jahrzehntealten Gebietsstreitigkeiten in der Ägäis, kann Griechenland in der Tat viel Geld sparen. Kein anderes europäisches Land gibt prozentual gemessen an seinem Bruttosozialprodukt so viel Geld für Rüstung aus wie Griechenland. Diese Aufrüstung ist schon lange anachronistisch. Die Türkei hat mit ihrem Kurdenproblem und den unsicheren Grenzen im Osten längst andere Sorgen, als wegen einiger Ägäisinseln einen Krieg mit Griechenland anzuzetteln. Wenn die Krise dazu beiträgt, dass Griechenland seine Obsessionen gegenüber der Türkei überwindet und zu einer realistischeren Haltung der Türkei gegenüber findet, hätte der Finanzcrash wenigstens etwas Gutes.
Von türkischer Seite aus bestehen spätestens seit dem uneigennützigen Einsatz griechischer Helfer in der Erdbebenkatastrophe 1999 kaum noch Vorbehalte gegen eine echte Aussöhnung mit den Nachbarn. Es ist daher für Erdogan folgerichtig, die momentane Offenheit in Athen zu nutzen, um die mögliche Friedensdividende einzufordern. Erdogan geht es weniger um Einsparungen bei der Rüstung, er hofft, Papandreou dazu gewinnen zu können, sich auf Zypern aktiv für eine politische Lösung einzusetzen. Denn ohne Unterstützung von außen können sich die griechischen und türkischen Politiker auf der Insel wohl kaum auf einen Kompromiss einigen. Die Türkei aber braucht Fortschritte auf Zypern, wenn ihr Beitrittsprozess in Richtung EU Ende des Jahres nicht völlig zum Erliegen kommen soll.
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