: Beschwichtigung und Verfinsterung in Wien
AUS DEM CAFÉ CENTRALDIETER BANDHAUER
Wie fühlten sich jene drei von ihren Reiseführern ins Café Central gelockten Touristen, als sie mit ihren angelesenen Vorstellungen von dem, was ein richtiges Wiener Kaffeehaus sein soll, in diese EU-Veranstaltung stolperten? Dachten sie, hier geht’s immer so zu?
Im Prinzip handelte es sich bei der EU-weiten Aktion „Café d’Europe“ um eine durchaus legitime, wenn auch etwas fadenscheinige Beschwichtigungsaktion. Die EU ist nicht bloß in der Verfassungskrise, sondern ganz generell in einer Sinnkrise. Wobei, wie der Wiener Philosoph Rudolf Burger einmal treffend anmerkte, das Beste am Sinn die Krise sei.
Im Café Central wurden Süßspeisen aus 27 Ländern serviert, den Bürgern also die sprichwörtliche Sahne ums Maul geschmiert, damit sich ihnen besser auf Selbiges schauen lässt. Da sich die EU besonders gerne mit „Zukunft“ schmückt, hat man in Wien einige Schulklassen eingeladen. Wahrscheinlich eine willkommene Abwechslung vom Schulalltag, aber mit der Frage: „Wie spannend ist es für euch, dass sich Europa nach Osten ausweitet?“, gequält zu werden, ist auch kein Spaß und zeigt, dass Blödfragen nicht allein eine Domäne von Lehrkräften, sondern in erster Linie von TV-Moderatoren sind. Zwingend also, dass die Anmerkungen der Schüler rasend spannend ausfielen. Aber gähnend ließ sich ohnehin besser Kuchen einwerfen.
Die diversen eingeladenen Politiker und Manager hatten kein Problem, bei dieser EU-weiten Behübschungs- und Propagandaaktion gute Figur zu machen. Sie präsentierten Ideen für ein besseres Europa als Medizin, die leider aber die Krankheit selbst sind. Das Gerede von der EU als Friedensprojekt ist unerträglich und verweist nur auf die Kurzsichtigkeit der Machthaber und ihrer Sprachrohre. Denn wie schnell kann eine so genannte Friedenszeit in eine Zwischenkriegszeit umkippen? Mit solchen Überlegungen erweist man sich aber bestenfalls als typischer Wiener Kaffeehausquerulant.
Dann aber folgte im Café Central eine große Überraschung, die die Schüler ratlos und die Manager und Politiker verärgert zurückließ, eine Verärgerung, die man sich selbstverständlich nicht anmerken ließ: Der Schriftsteller Josef Winkler, alles andere als ein Kaffeehausliterat, ließ sich von der „Café d’Europe“-Aktion keineswegs instrumentalisieren und las einen derart sperrigen, weil todesfinsteren, kriegsbewölkten und herrgottfürcherlichen Text, dass einem Hören und Sehen verging. Ein Betriebsunfall? Eine Ausnahme, die lediglich die Regel bestätigt? Oder die Narrenfreiheit der Kunst?