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Archiv-Artikel

„Die griechische Tragödie nutzen“

SCHULDENKRISE I Der lateinamerikanische Schuldenexperte Alberto Acosta fordert ein internationales Insolvenzverfahren für Staaten

Alberto Acosta

■ ecuadorianischer Ökonom und Ökologe, erarbeitete einen Vorschlag für ein „Internationales Schiedsgericht für Staatsschulden“

INTERVIEW GERHARD DILGER

taz: Herr Acosta, welche Assoziationen löst die Griechenlandkrise bei Ihnen aus?

Alberto Acosta: Immer wieder sehe ich Bilder der Krisen in Lateinamerika vor mir. Sogar die Korruption in vielen europäischen Staaten, wie wir sie auch aus unseren Ländern kennen, passt dazu.

Welchen Ausweg schlagen Sie vor?

Auch wenn ich die Details in Griechenland zu wenig kenne, lassen sich doch einige allgemeine Lehren aus den früheren Schuldenkrisen ziehen. Es dürfen keine gescheiterten Rezepte angewendet werden, die die Krise verschlimmern. Lohnkürzungen, höhere Mehrwertsteuern und Sozialabbau bei gleichzeitiger Förderung erneuter Finanzblasen – so bürdet man der Bevölkerung die Last der Anpassung auf, vertieft die Rezession und vergrößert die Ansteckungsgefahr bei Nachbarländern. Warum bietet man den Griechen nicht eine großzügige Entschuldung an, wie das die Gläubiger 1953 im Londoner Schuldenabkommen mit Deutschland getan haben?

Ist es denn überhaupt wahrscheinlich, dass ein Land wie Griechenland pleitegeht?

Selbst wenn ein Staat sich nicht offiziell für zahlungsunfähig erklärt, sieht die Situation für die Menschen im Land oft anders aus. Sie müssen die Sparpläne und wirtschaftlichen Strukturanpassungen hinnehmen und so den Schuldendienst garantieren. Wir sollten die griechische Tragödie nutzen, um Institutionen zu schaffen, mit denen man die Schuldenkrisen in aller Welt angehen könnte.

Zum Beispiel?

Ein internationales Schiedsgericht für staatliche Schulden wäre so ein Versuch. Zunächst müssten all jene Instanzen aufgelöst werden, in denen die Gläubiger einseitig über das Los der Schuldner entscheiden, wie der Pariser oder der Londoner Club, zu denen sich die die Gläubigerstaaten beziehungsweise die Banken zusammengeschlossen haben. Gleiches gilt für die von Grund auf korrupten Ratingagenturen. Auch den Spekulanten, die sich an den Schuldenkrisen noch bereichern, muss ein Riegel vorgeschoben werden.

Wer sollte solch ein Entschuldungsverfahren durchführen, vielleicht der IWF, der Internationale Währungsfonds?

In seiner gegenwärtigen Form ist der IWF keinesfalls für so eine Rolle geeignet. Am besten könnten das Experten unter starker Beteiligung der Zivilgesellschaft im Rahmen des UN-Systems leisten. Nicht nur die Interessen des IWF müssen in so einem Verfahren berücksichtigt werden, sondern auch die anderer multilateraler Geberorganisationen und Geberländer, privater Gläubiger und Besitzer von Staatsanleihen.

Und wie hat man sich das Verfahren dann vorzustellen?

Die verschuldeten Staaten würden ihre Zahlungen einstellen, und zugleich müssten alle Klagen von Gläubigern eingefroren werden. Zudem sollte man die „legitimen“ Schulden von jenen unterscheiden, die nach der Doktrin der verabscheuungswürdigen und korrupten Schulden angefochten werden können, also etwa solchen, die von Diktaturen aufgenommen wurden. Solche vom Gericht als „illegitim“ identifizierten Schulden müssten nicht zurückgezahlt werden. Das könnte übrigens auch eine Barriere gegen künftige diktatorische Abenteuer errichten.

Das klingt revolutionär, aber leider nicht sehr realistisch …

„Der Schuldendienst darf nicht die Menschenwürde beeinträchtigen“

Solche Maßnahmen brauchen wir gegen die weltweite Verarmung. Die Gläubiger müssen ihre Mitverantwortung anerkennen, und das in einem international legitimierten System. Selbst wenn sie Verluste hinnehmen müssen, stellt das keine Gefahr für das Weltwirtschaftssystem dar. In jedem Rechtsstaat gilt das Prinzip, dass der Schuldendienst nicht die Menschenwürde beeinträchtigen darf. Bei den staatlichen Schulden fehlt ein solcher Schutz.

Wie war das Echo auf die Idee eines solchen Schuldentribunals?

2000, im Rahmen der Erlassjahrkampagne, war sie populär. Man hat sie in der UNO diskutiert und in verschiedenen nationalen Parlamenten, auch im Bundestag. Leider ließ das Interesse allmählich nach – bis zur jetzigen Weltwirtschaftskrise.

Was halten Sie vom 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket für die Eurozone?

Europas Regierungen wehren sich massiv gegen die Spekulanten, das ist gut. Aber wer bezahlt die Rechnung? Unter den jetzigen Spielregeln kann das Geld wieder in den üblichen Taschen verschwinden, und die Bevölkerung kommt für die Zeche auf. Es müssen strukturelle Lösungen her, wie sie ein internationales Schiedsgericht darstellt.