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Archiv-Artikel

Eine Tat im Eigennutz

VON HEIDE PLATEN UNDKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Die 21. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts verurteilte gestern den als „Kannibalen von Rotenburg“ bekannt gewordenen Armin Meiwes (44) wegen Mordes in Tateinheit mit dem Delikt „Störung der Totenruhe“ zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Im gedeckten Anzug mit dezentem Schlips und goldener Krawattennadel nahm Meiwes das Urteil äußerlich unbewegt zur Kenntnis.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Computerfachmann in der Nacht des 13. März 2001 dem Berliner Ingenieur Bernd Brandes zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs – aus einem niedrigen Beweggrund also – den Penis amputierte, den wegen des Blutverlustes bald Ohnmächtigen dann durch einen Stich in den Hals tötete, ihn schlachtete, portionierte und einfror. Zwanzig Kilo von diesem Menschenfleisch habe er dann nach und nach gegessen und die „Speisereste“ im Garten seines Gutshauses vergraben.

Meiwes war 21 Monate nach der Tat verhaftet worden. Er hatte Brandes im Internet kennen gelernt, in dem er seit Jahren jemanden suchte, der sich „freiwillig“ von ihm schlachten lassen würde. Vom Kasseler Landgericht war er 2004 wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Dieses Urteil hatte der Bundesgerichtshof aufgehoben und die Strafsache zur Revision nach Frankfurt verwiesen.

Der Vorsitzende Richter schilderte en detail den Tathergang, der mit dem Abschneiden des Penis von Brandes und dem vergeblichen Versuch begann, das „zähe Fleisch“ des Geschlechtsteils durch Braten und Würzen für ein von Täter und Opfer geplantes gemeinsames „Mahl“ doch noch genießbar zu machen. Der Horror endete am Morgen danach mit der fachgerechten, an Haustierschlachtungen orientierten Zerlegung des Ermordeten.

Eine wesentliche Rolle für die Urteilsfindung spielten für die Kammer ganz offenbar die Gutachten des Berliner Sexualwissenschaftlers Klaus Beier und des Göttinger Psychiaters Georg Stolpmann. Beide Gutachter hielten Meiwes für „voll schuldfähig“, auch wenn seine Obsession als „schwere seelische Abartigkeit“ gewertet werden müsse, sagte Beier im Prozessverlauf. Meiwes habe gewusst, dass er sich strafbar mache. Und er habe während der langen Tatvorbereitung jederzeit die Möglichkeit gehabt, das Unternehmen abzubrechen. Allerdings habe auch der „extrem masochistische, zwanghafte Brandes“ geradezu darauf bestanden, von Meiwes geschlachtet und verspeist zu werden. „Sie wussten beide, was sie wollten und taten – gesteuert von Eigennutz auf beiden Seiten“, so Beier.

Am Ende der Beweisaufnahme nach 18 Prozesstagen und 75 Verhandlungsstunden konstatierte Beier aber auch, dass er die entscheidende Frage danach, was in einem Menschen vorgehe, dessen Fetisch das Schlachten und Essen von Männerfleisch sei, nach wie vor nicht beantworten könne. Die Gutachter waren auch zu dem einhelligen Schluss gekommen, dass Meiwes gefährlich sei; und dass er nur „mit verschwindend geringen Erfolgsaussichten“ therapiert werden könne. Das Gericht verfügte dennoch keine Sicherheitsverwahrung, die von der Staatsanwaltschaft im Plädoyer gefordert worden war. Dabei hatte Meiwes im Verlauf des Verfahrens eingeräumt, dass er schon beim Zerteilen des ersten Opfers daran gedacht habe, sich einen neuen „Schlachtjungen“ zu besorgen. Seine „Präferenzen“ seien spätestens in der Pubertät irreversibel festgelegt gewesen, befand auch Beier: „Das ist Schicksal – nicht Wahl.“ Nur durch das Schlachten und „Zerwürgen“ von Männerfleisch sei Meiwes imstande, „die Erlebnistiefe einer Bindung“ zu erfahren. Meiwes’ Verteidiger, der auf „Tötung auf Verlangen“ plädiert hatte, kündigte gleich nach dem Urteil an, in Karlsruhe Revision gegen den Richterspruch einlegen zu wollen.