: Von gefälschter Geschichte und Björk
In Osnabrück findet bis Sonntag das 19. European Media Art Festival mit Performances, Ausstellungen, Filmvorführungen und einem Symposium statt
„Smart Art“ lautet das Motto der Ausstellung des diesjährigen „European Art Festival“ in Osnabrück, und tatsächlich stellen dort zwei gerissene Künstler eines ihrer Gesamtkunstwerke vor. Das Künstlerduo Com & Com hat bewiesen, dass auch ein provinzielles Projekt wie die Neugestaltung eines Platzes in einem kleinen schweizerischen Städtchen zu einer international beachteten Aktion werden kann. Die beiden Konzeptkünstler Johannes M. Hedinger und Marcus Gossolt entwarfen „MocMoc“, eine große gelbschwarze Plastikfigur, die wie eine Mischung aus Pokémon und Badeente aussieht. Und sie erfanden für die überdimensionale Spielzeugpuppe auch noch eine Legende mit angeblichen historischen Belegen, die beweisen sollten, dass diese Figur zur Geschichte der Bodenseegemeinde Romanshorn gehörte.
Scheinbar bemerkte dort niemand, dass „to mock“ die englische Vokabel für „nachmachen, verspotten, täuschen“ ist, und erst nachdem das Projekt die Ausschreibung gewonnen hatte, flog der Schwindel auf. Es gab einen großen Skandal, aber die Bürger des Städtchens bewiesen dann doch einen erstaunlich ausgeprägten Sinn für Humor, denn bei einer Volksabstimmung stimmten sie trotz allem für „Mocmoc“ das nun tatsächlich den Platz schmückt und seitdem hochoffiziell auf Kunstmessen überall auf der Welt die Schweiz repräsentiert.
Für solche einzelne Kunstrichtungen übergreifende und oft ins Absurde führende Projekte ist das European Media Art Festival bekannt. Sie werden in der alten Dominikanerkirche präsentiert, die in eine Kunsthalle umfunktioniert wurde, aber immer noch sakral wirkt, und durch diesen Verfremdungseffekt bekommen die dort aufgebauten Installationen und kinetischen Objekte eine ganz eigene Wirkung. Außer „MocMoc“ finden sich hier Videoprojekte wie „Match“ von Martin Brandt, der Amateurvideos von Hooligan-Schlägereien zu einem Triptychon von Bildschirmen verarbeitete und eine sich wie auf einem Karussell drehende Leinwand, auf die Caspar Stracke wie in einem nie endenden Reißschwenk Aufnahmen von internationalen Metropole projiziert. Eine andere Irritation bietet Matt Hulse in seiner Performance am Freitag um 21 Uhrim Haus der Jugend, wenn er in seiner „Audible Picture Show“ eine Kinoaufführung ohne Bilder präsentiert, und im abgedunkelte Saal kleine, vom ihm selbst hergestellte Klangkollagen abspielt, zu denen sich jeder seinen eigenen Film ausmalen kann. Auch das kanadisch/französische Duo Benny Nemerofsky und Pascal Lièvre attackiert die Seh- und Hörgewohnheiten, wenn es in seiner Performance in der Lagerhalle am Freitag um 20 Uhr bei bekannten Popsongs die Texte durch politische Reden ersetzten. So trifft bei ihnen Abba auf Mao, und der „Patriot Act“ der US-Regierung wird zur Melodie von Celine Dions Titanic-Schnulze geschmettert.
Aber die EMAF ist auch ein ganz normales Filmfest, bei dem in abgedunkelten Räumen Bilder auf Leinwänden zu sehen sind. In der Lagerhalle, dem traditionellen Festivalzentrum laufen vier Tage lang von Mittag bis Mitternacht Programme mit experimentellen Kurzfilmen aus aller Welt. Im 31 Programmen werden etwa 210 Arbeiten gezeigt, und diese oft alles andere als leicht zugänglichen Programme bilden den Kern des Festivals. Viele Festivalbesucher kommen gezielt, um diese sonst kaum gezeigten Werke zu sehen. Als ein weiteres Filmexperiment, einen „Wandteppich mit sinnlichen, treffenden und zum Teil aufwühlenden Bildern“ lobt das Branchenblatt „Variety“ den Spielfilm „Drawing Restraint 9“ des Kunststars Matthew Barney, in dem auch seine Ehefrau Björk mitspielt (siehe Foto). Er läuft heute Abend und am Samstag um 22.30 im Cinema Arthouse. Wilfried Hippen
weitere Informationen unter: www.emaf.de