ORTSTERMIN: OBWOHL INVESTOR KRETSCHMER MIT DER POLIZEI DROHT, ROCKEN FETTES BROT DIE FLORA : 200 Meter Reaktion
Manchmal liegt die Antwort auf drängende Fragen wirklich im Staub der Straße. Besser: Sie steht drauf, beginnt sogar zu tanzen, ist einfach da, auch wenn es anders sein sollte. Klausmartin Kretschmer nämlich, Inhaber und Intimfeind der Roten Flora, wollte verhindern, dass sein Eigentum am Sonntag für ein Soli-Konzert vom Hip-Hop-Trio Fettes Brot genutzt wird. Sogar Strafantrag hat er gegen die Rapper gestellt, ein juristisch haltloser Amoklauf hektischen Aktionismus im Streit ums besetzte Kulturzentrum.
Und die Reaktion? War gut 200 Meter lang und zog sich vom Schulterblatt Richtung Lerchenwache, deren Beamten mal nicht dran dachten, Kretschmers Kleinkrieg zu munitionieren. Es war eine Warteschlange des musikalischen Ungehorsams gegen einen Investor ohne Sinn für das, was rund um sein Investment so los ist.
Denn Fettes Brot sind trotzdem gekommen, natürlich. Und nicht nur das: Während im Inneren der Flora rund 500 Besucher für eher symbolische fünf Euro Beitrag kollektiv zum Partybeat der drei Lokalmatadoren hüpfen, tut dies draußen vor der Tür nochmals das Vierfache jener, die reingekommen sind. Beim Public Viewing mit Live-Bildern aus dem Saal. Verstärkt von zwei Boxentürmen, deren Sound noch auf der Reeperbahn vernehmbar ist. Das ist gerappte Renitenz im Freilandversuch, ein Stück Solidarität zum 24. Geburtstag der Besetzung, wie Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt vor Beginn ins Publikum rief, ein inoffizielles Plattenreleasekonzert, das auch im Kontext von Lampedusa, Repression, Marke Hamburg gesehen werden solle. Und dann sagt er einen Satz, der belegt, dass die Sache mit der Politik bei so einer Band doch nicht so einfach ist. Die Brote, so Blechschmidt, „haben nicht eine Sekunde gezweifelt, heute Abend aufzutreten“.
Nicht gezögert also: gezweifelt. Als sei König Boris, Doktor Renz und Björn Beton auch ohne Einladung nie ein Zweifel gekommen, dass niemand sonst diesen Laden füllt. Und das tun sie folglich mit neuen Stücken von „3 is ne Party“ wie alten Gassenhauern à la Emanuela. Fettes Brot machen Starkultwitze, Kifferwitze, Groupiewitze und springen dazu im Dreieck wie bei der Bandgründung 1992. Sie grölen heiter ihre Partyparolen und sparen sich dabei jeden Anflug sozialkritischer Metaebene. Keine Grußadresse an die Flüchtlinge, kein Aufruf zum Klassenkampf, kaum offene Kritik, nur Fun, Fun, Fun. Und auch, wenn davor offen bleibt, ob mehr T-Shirts mit FCK NZS, FCK CPS oder FCK SPD durchgeschwitzt werden – selbst der autonomste Teilnehmer der gut besuchten Großdemo gegen die Flüchtlingspolitik einer aufwertungssüchtigen Stadt tags zuvor lässt Revolte hier mal kurz Revolte sein und wedelt die Arme im Takt des gemeinschaftsbildenden Mitgrölraps.
Und dass die Menge vor der Flora trotz kriechender Novemberkälte größer ist als viele Aufläufe gegen Staat und Kapital an gleicher Stelle, belegt aufs Neue: Auch Kampf braucht bisweilen ein bisschen Entspannung – selbst, wenn sie im erweiterten Kampfrahmen erfolgt. So rocken „Brote Flora“, wie zuvor wochenlang plakatiert, für ein, zwei Stunden jenen Ort, der zuletzt eher Schauplatz angekündigter Auseinandersetzungen mit dem Investor Kretschmer war, dem hier recht offen Bambule angekündigt wird, sollte er mal mit mehr als erfolglosen Strafanzeigen von seinem Hausrecht Gebrauch machen. An diesem Sonntag zeigt die Flora mit 100 Dezibel Außenbeschallung ein Gesicht, das Anwohner ebenso wie Zugereiste gleichermaßen hübsch finden. Und drinnen singen die Brote von den Mädchen, die sie alle geliebt haben. Politik kann echt lustig sein.JAN FREITAG