Brechmittel-Tod vor Gericht

Die Bremer Staatsanwaltschaft will einen Polizeiarzt vor Gericht bringen. Er hatte einem afrikanischen Kleindealer so lange Brechmittel und Wasser eingeflößt, bis er daran erstickte. Wäre er weiß gewesen, hätte er gerettet werden können

aus Bremen Eiken Bruhn

Wegen fahrlässiger Tötung klagt die Bremer Staatsanwaltschaft jetzt einen Arzt an, der im Dienst der Bremer Polizei einem Mann aus Sierra Leone zwangsweise Brechmittel und Wasser eingeflößt hat – und nicht erkannte, dass er ihn damit ertränkte. Als Arzt hätte ihm das nicht passieren dürfen. Er habe den Vorgang rechtzeitig abbrechen können und nach Auffassung der Staatsanwaltschaft auch müssen. „Er war schlicht überfordert“, sagte Oberstaatsanwalt Dietrich Klein gestern.

Der Beschuldigte, der nicht mehr im Dienst der Bremer Polizei steht, habe angegeben, vorher nie auf Schwierigkeiten bei den Zwangseinsätzen gestoßen zu sein. Laya Condé hingegen hatte die Zähne zusammengebissen und das Erbrochene sowie Wasser wieder hinunter geschluckt, um zu verhindern, dass Kokainkügelchen gefunden werden können. Den Polizeiarzt kümmerte das nicht. Er setzte die Prozedur fort – obwohl er laut einer Dienstanweisung hätte abbrechen müssen, wenn die Gefahr besteht, dass Flüssigkeit in die Lunge gerät. Laut Staatsanwaltschaft hat der Arzt auch eine weitere Anweisung missachtet, indem er ein bis zwei Liter Wasser nachgoss, obwohl Condé nicht mehr bei vollem Bewusstsein war. „Die Zeugen haben ausgesagt, dass er nicht mehr auf Lichtreflexe reagierte und kaum ansprechbar gewesen war.“

Doch warum trotz Condés Zustand keiner der Zeugen – Sanitäter, zwei Polizisten und ein hinzugerufener Notarzt – den Ernst der Lage erkannte und einschritt, bleibt rätselhaft. „Der Notarzt konnte keine Notsituation erkennen“, sagt Klein. Deshalb sei dieser auch von dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung befreit. Das Ertrinken habe sich so schleichend vollzogen, dass es erst bemerkt wurde, als es bereits zu spät war, so Klein. „Der Prozess war dann nicht mehr umkehrbar.“ Auch die Messgeräte hätten nach derzeitigem Ermittlungsstand keinen derart ernsten Zustand angezeigt.

Möglicherweise würde Condé noch leben, wenn er eine hellere Haut gehabt hätte. Diesen Schluss legen nach Auskunft des Sprechers der Staatsanwaltschaft, Frank Passade, Gutachten nahe, die zu dem Fall angefordert worden waren. „Bei einem Weißen würde man an der Blaufärbung der Haut recht schnell einen Sauerstoffmangel erkennen“, sagt Passade. Eine Chance hätte Condé wohl auch dann gehabt, wenn ihm eine Klammer eingesetzt worden wäre, um ihn daran zu hindern, die Zähne zusammenzubeißen. „Diese Metallklammer war an dem Tag nicht im Exkorporationsraum“, sagt der Oberstaatsanwalt.

Nach Condés Tod war in Bremen die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln, um Beweismittel zu sichern, gestoppt worden, damit nicht mehr Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden. Allerdings hatte Bremens Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) noch eine Woche nach dem Vorfall im Polizeigewahrsam darauf beharrt, dass der damals noch im Koma liegende Condé selbst schuld an seinem Zustand sei. Hätte er sich nicht gegen die Zwangsbehandlung gewehrt, wäre ihm nichts passiert, so Röwekamp. Die Bremer Grünen hatten deswegen einen Misstrauensantrag gegen den Innensenator eingebracht, der allerdings scheiterte, obwohl auch der damalige SPD-Fraktionschef und heutige Bürgermeister Jens Böhrnsen Röwekamps Vorgehen als „äußerst befremdlich“ bezeichnet hatte.

Die Bremer CDU scheint aus dem Vorfall allerdings wenig gelernt zu haben. Gestern forderte ihr innenpolitischer Sprecher Rolf Herderhorst die Rückkehr zu den Brechmitteln, da diese Form der „Exkorporation“ schneller ginge als die Nutzung der so genannten Drogenklos (siehe Fotokasten). Von April bis Dezember 2005 waren sieben Personen so lange festgehalten worden, bis sie auf natürlichem Weg abgeführt hatten. Zwei von ihnen hatten keine Drogenpäckchen im Körper. Um sich diese langwierige Prozedur zu ersparen, hatten sich 25 weitere Verdächtige freiwillig erbrochen.