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Archiv-Artikel

Pack den Panther ins Tor

Am Kleinhesseloher See, München: 3sat versucht sich am Porträt Oliver Kahns – und scheitert (21 Uhr)

Das ARD-Porträt von Olli Kahn, das 3sat heute Abend sendet, fühlt sich an wie das tausenddreiundneunzigste und ist in Wahrheit wahrscheinlich doch nur das zwanzigste. Und hier liegt das Problem: So viele haben schon versucht, „den Kahn“ mit den gängigen Mitteln des Journalismus zu decodieren, den „Titan“ zu vermenschlichen, den Würger von der Säbener Straße zum Torwart der Herzen zu machen. Allein: Es gelang kaum. Auch dieses Mal nicht, obgleich Porträt-Autor Marin Martschewski Kahn über viele Jahre begleitet hat und das auch brav dokumentiert.

Wer sich Oliver Kahn nähern will, der sollte lieber lesen, und zwar die Zeit. Manchmal sind Worte eben doch mehr als Bilder, zumal wenn einer so gewollt wie scheinbar angeboren gen imaginären Fluchtpunkt glotzt und betont redet wie der Rhetorik-Coach Oliver Kahn auf 3sat. Im Zeit-Porträt vor drei Wochen dagegen passiert fast nichts. Es geht im Kern darum, dass Kahn ein bereits geführtes Interview nicht freigeben will. Und der Autor Henning Sußebach macht nichts anderes, als sich an seinen eigenen Fragen und dem Umstand, wie es zu dem Interview kam, entlangzuhangeln. Er beschreibt, wie Kahn ihn unverhofft zurückruft, wie er ins Telefon krächzt, wie sie sich dann zum Interview verabreden, wie ein Café zu hat und sie deshalb in ein anderes wechseln. Und wie Kahn sogar die banalsten Antworten aus dem Interview rausstreicht. – Das reicht.

Doch wo die Zeit zwischen den Zeilen nach dem wahren Ich des Oliver K. sucht, drischt Martschewski wie ein Hobbypsychologe auf den Mythos Kahn ein. Da werden Fans befragt, die Kahn wahlweise zum „Vollproll“ ernennen und dann wieder zum „letzten Helden in diesem Land“. Da kommt kein Beckenbauer, kein Netzer, kein Hoeneß zu Wort. Es fehlen aber auch die Opfer von Kahns rigorosem Egotrip namens Fußballkarriere. Es fehlen die Konkurrenz-Torwarte Famulla und Lehmann, all die Spieler, die Kahn würgte, anschrie oder verfolgte. Es fehlen nicht: Szenen, in denen Kahn fußballerisch glänzt, Erfolgsszenen, Phrasen, in denen von Willen, Kraft und Verlieren die Rede ist.

Und deswegen fehlt es dem Film so arg an Seele, egal wie schwulstig das auch klingen mag. Nicht verwunderlich also, wenn der Autor nach 50 Minuten die Verbalkeule auspackt: „Ich habe Ihnen etwas mitgebracht“ – der letzte Trick des Interviewers, wenn er nicht mehr weiterweiß. Und dann liest Oliver Kahn „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke vor, starrt ausnahmsweise nicht auf den zugefrorenen Kleinhesseloher See in München, sondern fragt: „Was ist mein symbolischer Käfig? Das Tor? Der 16-Meter-Raum?“

Oder doch die Psyche? Der Film jedenfalls gibt die Antwort nicht. DOMINIK SCHOTTNER