Der Ausnahmezustand

In Oberhausen sind am Dienstag die Kurzfilmtage zu Ende gegangen. Besonders beeindruckte die Sonderreihe „Radical Closure“, die sich mit Kriegs- und Lebenswelten im Nahen Osten befasste

Viele der kurzen Filmessays und Dokumentationen beschreiben, wie Gewalt ritualisiertund verherrlicht wird

von DOMINIK KAMALZADEH

Das Telefon klingelt, aber immer dann, wenn der Hörer abgehoben wird, ist die Verbindung unterbrochen. Zwischen dem amerikanischen Radiomoderator und dem Filmemacher Elia Suleiman kommt in „Takreem bil katel“ („Homage by Assassination“, 1992) kein Interview zustande. Der palästinensische Regisseur befand sich gerade in New York, als der erste Golfkrieg ausbrach. Er ist allein in seinem Appartement, die politischen Ereignisse holen ihn ein, der Krieg löst eine tiefe Verunsicherung aus. Es findet kein Dialog, sondern eine Selbstbefragung statt. Alltagssituationen sind mit einem Mal nicht mehr zu bewältigen. Mit unbewegter Miene steht Suleiman in der Küche und lässt das Wasser am Herd überkochen. Das politisch Unbewusste drängt sich immer wieder zwischen und über die Bilder: Inserts in arabischer Schrift, die von der Überwindung des Terrors handeln, legen sich über das Gesicht des Protagonisten, am Ende blinkt auf den Monitoren am Schneidetisch die palästinensische Fahne auf.

In „Takreem bil katel“ finden sich viele der Fragestellungen wieder, mit denen sich „Radical Closure“ befasste. Die vom libanesischen Videokünstler Akram Zaatari kuratierte Sonderreihe der 51. Kurzfilmtage von Oberhausen widmete sich künstlerischen und filmischen Auseinandersetzungen mit Kriegs- und Lebenswelten des Nahen Ostens. Den Titel entlehnte Zaatari von seinem Landsmann, dem Künstler und Filmtheoretiker Jalal Toufic. Der Begriff bezeichnet den Ausnahmezustand, in dem eine von Kriegen und Katastrophen betroffene Gesellschaft verharrt. Den Künstlern und Künstlerinnen kommt nun die Aufgabe zu, die aus dieser Situation resultierenden Prozesse sichtbar zu machen. Was nur funktionieren kann, wenn man auch dominante mediale Repräsentationsformen und deren gesellschaftliche Auswirkungen in Frage zu stellen beginnt.

Gebündelt in elf Programme mit thematischen Brennpunkten wie „Erziehung als Ort der Indoktrination“, „Intensivstation“ oder „Militärkultur“ fand man ein Spektrum aus interventionistischen Videos, Kurzdokumentarfilmen und solchen Arbeiten vor, die sich mit der Lektüre von kriegstechnologischen Bildern beschäftigten – ein Ansatz, für den etwa Harun Farockis „Auge/Maschine III“ (2003) steht. Jean-Luc Godards und Anne-Marie Miévilles „Ici et ailleurs“ (1974), mit dem programmatisch eröffnet wurde, diente als Metatext der Reihe. Der Film thematisiert nicht nur die Anfänge der militärischen Mobilmachung der Palästinenser; er zeigt überdies, wie Feindbilder fabriziert werden, und erstellt historische Zusammenhänge zu anderen Kriegen. Während Godard und Miéville beharrlich auf die wechselseitige Durchdringung von „Kriegsbildern“ und deren Konsumation verweisen, bestand ein Vorzug der Reihe darin, eine Art Binnenperspektive auf Länder wie den Libanon, Syrien, Israel, aber auch Ägypten oder die Türkei anzubieten.

Der Syrier Omar Amiralay demonstriert in „Toufan fi balad al baas“ („A Flood in Baath Country“, 2003) in eindrucksvollen Tableaus, wie rigide die Institution Schule in seiner Heimat die Aufgabe übernimmt, Kinder die Ideologie des Staates einzubläuen. Das hat einen regelrechten Geschichtsverlust der jüngeren Generation zur Folge. Ein Thema, das schon Oussama Mohammads „Khotwa khotwa“ („Step by Step“, 1978) in vergleichsweise neoveristischer Manier verhandelt. Mittels Interviews und beobachteten Szenen verdeutlicht der Film, dass das Militär für junge Männer aus dem Bauernstand die einzige Möglichkeit darstellt, in ein vermeintlich selbst bestimmtes Dasein überzuwechseln.

Die Abstumpfung durch alltägliche Gewalt, ihre Ritualisierung und Verherrlichung wurde in etlichen Arbeiten manifest. Besonders eindringlich etwa in Vlatko Gilić' „In Continuo“, der bereits 1971 in Oberhausen prämiert wurde: Hier genügen wenige Einblicke in die Arbeitsabläufe eines Schlachthauses – das Wetzen der Messer, die Inszenierung halbnackter Männerkörper oder Blutbäche am Boden –, um eine Kultur der Gewalt mit geradezu physischer Wucht zu veranschaulichen, ohne den Akt des Tötens zu zeigen.

Eindringlich intim dagegen ist Danielle Arbids „Nous/Nihna“ (2005): Die Filmemacherin pflegt ihren todkranken Vater, weist aber auch dezent auf die Bedrohung des häuslichen Friedens hin, wenn in einem längeren Gespräch der Umgang mit einer Pistole vermittelt wird. Andere Arbeiten, etwa Christoph Büchels „AC 130 Gunship Video“ (2004) – Büchel zeigt die Bombardierung eines afghanischen Gebäudekomplexes als rein operatives Bild – lieferten nur rohes Material und erschlossen sich allenfalls erst über die Länge eines Programms. Mitunter hätte man sich bei „Radical Closure“ eine intensivere Auseinandersetzung mit den gezeigten künstlerischen Strategien erhofft. Nichtsdestotrotz ergaben die Filme und Dokumente eine beeindruckende Landkarte, auf der sich Bilder nicht gegenseitig verdeckten, sondern sich im Laufe von fünf Tagen produktiv ergänzten.