: Männerfreundschaft mit Angela
DAS SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER
Da haben die in Stralsund aber einen Schreck bekommen. Tagesordnungspunkt 1 im Rathaus war eigentlich die Vogelgrippe. Schon richtig, kein Mensch redet mehr davon, aber Stralsund liegt kurz vorm Polarkreis. Es ist nicht sicher, ob die Welt da hundert Jahre später untergeht, aber ein paar könnten es sein. Und ausgerechnet dort kam die Vogelgrippe zuerst an, bei den verschwiegenen Vorpommern. Der Schock ist noch ganz frisch, da folgt schon der zweite: Bush! Und er kommt noch schneller als das Virus.
Dabei ist alles ganz einfach. Bush ist genau wie die Vogelgrippe, da ist überhaupt kein Unterschied: weiträumige Absperrungen, ein bisschen Quarantäne und nicht jeden aus dem Stall lassen, das müsste reichen. Kein Vergleich zu damals, als schon mal ein bedenklich westliches Staatsoberhaupt nach Mecklenburg kam. Das war Helmut Schmidt 1981. Der wollte unbedingt nach Güstrow. Vielleicht wollte er nur Barlachs Engel sehen. Honecker hielt nicht viel von Engeln, unwahrscheinlich, dass er Barlach kannte, aber er konnte schlecht Nein sagen, und dann fingen die in Güstrow an, die Häuser zu streichen. Denn es wäre schon blöd gewesen, wenn der Sozialismus in Wirklichkeit so grau ausgesehen hätte, wie die westliche antikommunistische Propaganda immer behauptet hatte. Und die Mieter mussten ausgewechselt werden, wenigstens vorübergehend. Damit da nicht welche mit zu viel Begeisterung aus dem Fenster winken. Trotzdem konnte man nicht ganz Güstrow evakuieren lassen.
Heute amerikanische Präsidenten zu empfangen ist dagegen ganz einfach. Alle wissen es, George und Enschela haben sich so gut verstanden. Man hat sogar von einem präsidentialen bear hug gesprochen, also einer Umarmung, nach der das eingeklammerte Objekt lange keine Luft mehr bekommt. Ungefähr wie bei der Fangheuschrecke, Unterart Ciulfina rentzi. Wir kommen gleich darauf zurück. Bush hat seine Zuneigung in die unverlierbaren Worte gebracht: „Wenn ich mit Angela spreche, habe ich nicht das Gefühl, jetzt mit einer Frau zu sprechen.“ Aha.
Was will der amerikanische Präsident uns sagen? Es kommt darauf an, diesen Satz psychoanalytisch zu deuten. Schließlich ist ja Freud-Jahr.
In der letzten Woche unterhielt sich Beckmann mit Wolfgang Joop, ob der nicht Lust hätte, eine Garderobe für Frau Merkel zu entwerfen. Und Joop lehnte ab, es würde sie entstellen. Der Mann hat Geist und Charme. Er meinte wirklich nicht, die Kanzlerin würde seine Kreationen entstellen, nein, umgekehrt. Das war Bescheidenheit, Bewunderung für ein Wesen, das mitten in dieser gestylten Welt nichts nötig hat als sich selbst.
Und dann dachten Joop und Dieter Hildebrandt darüber nach, wie die Kanzlerin geht. Schröder habe augenblicklich, als er Kanzler war, einen neuen Gang ausprobiert und dann beibehalten. Den staatsmännisch leicht schwankenden Mittelpunktsmenschengang, Fortbewegung durch die Schwer- und Auftriebskraft der eigenen Bedeutung. Aber Angela Merkel geht immer noch wie immer. Joop nennt das den märkischen Landfrauengang.
Hat der märkische Landfrauengang George Bush erschreckt? Aber die texanischen Ölkrugträgerinnen laufen doch bestimmt auch nicht anders. Es muss noch etwas sein. Dieter Hildebrandt hat gesagt, diese Frau hat einfach keine Angst vor Männern. Überhaupt keine. Aber welcher Mann hätte keine Angst vor Frauen, die keine Angst vor Männern haben? Penisneid? Aber Herr Freud! Sie hätten Angela Merkel kennen sollen. Und die Fangheuschrecke, die Ciulfina rentzi.
Die Gerätschaften, die nach Ihrer Theorie den Neid der Frauen wecken, sind ungemein störanfällig, das weiß jeder. Und bei der Ciulfina rentzi erst! Wenn eine männliche Ciulfina rentzi eine weibliche Ciulfina rentzi begatten will, muss sie erst eine komplizierte Körperdrehung vollführen, die höchste Anforderungen an ihren Gleichgewichtssinn stellt. Entweder nach links oder nach rechts.
Ihr Neidobjekt ist nämlich völlig schief. Manche Schrecken können nur von links, andere können nur von rechts. Die Rechtskopulierer haben sich evolutionär nicht gegen die Linkskopulierer durchsetzen können und umgekehrt auch nicht. Männerspiele. Nur die Weibchen sind völlig normal, ganz und gar symmetrisch. Als ich die Fotos mit dem Handschlag Merkel/Bush sah, dachte ich sofort an die Ciulfina rentzi. Sie gibt ihrem Gegenüber ein ganz normale, völlig symmetrische, gar nicht ungelenke märkische Landfrauenhand, und seine Finger stehen weit auseinander, mit leichtem Rechtsdrall. Gar kein gutes Zeichen.
Den Penisneid können wir also vergessen, Herr Freud. Und die Sache mit dem „physiologischen Schwachsinn des Weibes“ wohl auch. Die Formulierung ist gut, aber er hätte auch einfacher sagen können: Frauen sind doof! Nicht aufregen, liebe Feministinnen, das ist nicht persönlich gemeint. Der Jubilar wollte nur ausdrücken, dass die Prädisposition der Frau für Mutterschaft und Familienerhalt ihren Verstand einengt. Sie kann nicht sinnvoll über die Grenzen ihrer kleinen Welt hinausdenken. Noch ein Fehler, Sigmund. Oder nur ein halber?
Alle regen sich gerade über die undoofen, nicht gebärenden Frauen auf. Unsere Kanzlerin ist gewissermaßen der Prototyp. Die kinderlose Akademikerin, schuld am künftigen Ruin dieses Landes. Können wir uns Frau Merkel denn mit Kind vorstellen? Dabei war sie schon über dreißig am Ende der DDR – und ohne Kind! Das war im Osten so selten wie heute Frau von der Leyen im Westen.
Aber jetzt schlagen die angefeindeten kinderlosen Akademikerinnen zurück. Und zwar in den Leserbriefspalten dieses Landes. Eine Frau mit Doktortitel, schreibt eine Frau mit Doktortitel, das sei noch schlimmer, als hätte sie Lepra. Rein fortpflanzungstechnisch gesehen. Eine andere fand die schöne Formulierung „Frau mit Bildungshintergrund“. Das klingt noch drei Klassen bedenklicher als „Frau mit Migrationshintergrund“.
Vielleicht sind „Frauen mit Bildungshintergrund“ einfach Blindläufer der Evolution. Sie sind eine andere Art Maulesel. Nur bedingt fortpflanzungsfähig. Bei den Schimpansen und Gorillas fliegen alle Frauen auf die Alphamännchen, also die absoluten Macho-Gorillas. Wahrscheinlich hätten die Macho-Gorillas nicht mal Angst vor Äffinnen mit Hintergrund. Aber beim Menschen ist das komplizierter. Denn gerade Frauen mit Hintergrund finden Macho-Gorillas aller Art ungemein komisch. Und immer so weiter.
Zwei Wege sind noch offen. Latente Geschlechtslosigkeit muss gar nichts Schlechtes sein. Engel zum Beispiel sind geschlechtslos. Kann man sich Barlachs Engel in Güstrow geschlechtsteilbehangen vorstellen? Und George hat Enschela eben zum Ehrenmann ernannt. Es ist leichter so. „This is the beginning of a beautiful friendship.“ Einer richtigen Männerfreundschaft eben.
Interessant wird es das nächste Mal in Moskau. Wirklich wichtige Politik mit wirklich wichtigen Politikern wird in Russland nämlich in der Sauna gemacht. Was machen wir nur, wenn Wladimir Putin nachher sagt: „Ich hatte gar nicht den Eindruck, einer Frau gegenüberzusitzen“?