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Archiv-Artikel

Darf die EU finnische Wölfe erschießen?

EU-Kommission präsentiert ihren neuen Plan für die Zukunft der Union. Tenor: Die EU muss mehr tun. Aber was?

BRÜSSEL taz ■ Die Finnen können die EU nicht leiden, weil Brüsseler Artenschutzgesetze die Wolfsjagd verbieten – das hat Kommissionsvizepräsidentin Margot Wallström bei ihren Besuchen in Finnland gelernt. Fast ein Jahr lang ist sie unermüdlich durch die EU-Staaten gereist, um den Bürgern „besser zuzuhören“. Ihr Fazit: „Die Menschen wissen fast nichts über die EU und interessieren sich auch nicht dafür, aber ihre Erwartungen an das, was Brüssel politisch leisten soll, sind hoch.“

Was bedeutet das nun für die finnischen Wölfe? Auch Kommissionspräsident Barroso, der gestern bei der Präsentation eines „Grundsatzprogramms für Europa“ wieder einmal betonte, es gehe um „konkrete Maßnahmen, um wirksames Handeln für die Bürger, nicht darum, das Image der EU besser zu verkaufen“, wusste darauf keine Antwort. Artenschutz ist ja bereits eine Gemeinschaftsaufgabe, die Bürger befürworten das laut Umfragen, das EU-Parlament entscheidet mit – ob Wölfe aber nun geschützt oder erschossen werden sollen, darüber scheiden sich die Geister in den Mitgliedsländern eben doch gewaltig.

Noch viel komplizierter wird es bei der Verbrechensbekämpfung. Laut Umfragen erwarten die Bürger von der EU, dass sie den Kampf gegen Terror zur Gemeinschaftsaufgabe macht. Doch die Mitgliedsstaaten wollen keine Kompetenzen abgeben, der Datenaustausch läuft schleppend. „Eine Verlagerung der Kompetenzen auf die Ebene der EU wäre der falsche Weg“, erklärt Matthias Wissmann, Vorsitzender des Europaausschusses im Deutschen Bundestag.

„Sollen wir auf den nächsten Terroranschlag warten, bevor wir tätig werden?“, fragt dagegen sichtlich aufgebracht der Kommissionspräsident. Er hat es offensichtlich satt, für alle Fehlentwicklungen in der EU den Kopf hinzuhalten und streicht deutlicher als bisher heraus, dass es die Mitgliedsstaaten sind, die zu Hause blockieren, was sie in Brüssel beschlossen haben.

Da bei der Kriminalitätsbekämpfung das EU-Parlament nicht mitreden darf, bleiben Bürgerrechte auf der Strecke. Gestern wurde im EP der Fall des türkischstämmigen Belgiers Bahar Kimyongur vorgestellt, der im Brüsseler Informationsbüro der türkischen Revolutionären Befreiungsfront mitgearbeitet hatte. Die Organisation steht auf der Terrorliste der EU-Staaten. In Belgien wurde Kimyongur zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, nun soll er an die Türkei ausgeliefert werden. „Staatlicher Willkür wird Tür und Tor geöffnet, wenn nicht klar definiert wird, wer aus welchem Grund auf diese Liste kommt und welche Konsequenzen das für die Betroffenen hat“, klagt die liberale EU-Abgeordnete Karin Resetarits.

Die EU soll also mehr tun – doch auf welchen Feldern, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Barrosos Plan, Gesetzesvorhaben künftig von den nationalen Parlamenten daraufhin prüfen zu lassen, ob sie zu sehr in nationale Belange eingreifen, wird vom EU-Parlament abgelehnt. Der Verfassungsausschuss erklärte, laut geltendem Nizza-Vertrag habe nur das EU-Parlament das Recht, die Kommission zu kontrollieren.

DANIELA WEINGÄRTNER