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Archiv-Artikel

Vereint in der Tiefe

„Die Leidenschaften, heftig oder nicht, müssen niemals bis zum Ekel ausgedrückt sein und die Musik auch in der schaudervollsten Lage niemals das Ohr beleidigen, sondern doch dabei vergnügen, folglich allzeit Musik bleiben.“ Von diesem ästhetischen Credo Wolfgang Amadeus Mozarts hat sich die Tonkunst im Laufe der Jahrhunderte zusehends entfernt. Hätten etwa der finnische Brummfrequenzexperte Mika Vainio und der US-amerikanische Gitarrensäger Stephen O’Malley sich an den Worten des Wiener Komponisten orientiert, dann wären ihre Karrieren anders verlaufen.

Auch ihr Projekt Äänipää hätte es ziemlich sicher nicht gegeben. Denn was der in Berlin lebende Vainio, in den Neunzigern bekannt geworden als eine Hälfte des Technoduos Pan Sonic, und der Wahlpariser O’Malley, unter anderem aktiv im Drone-Projekt SunnO))), hier mit einigen befreundeten Kollegen im andereBaustelle-Tonstudio im Wedding aufgenommen haben, könnte für das eine oder andere Ohr etwas zu viel des Guten sein.

Der Name ihres Projekts klingt für finnische Ohren vermutlich weniger exotisch als für deutsche: „Äänipää“ bezeichnet in der Tontechnik den „Tonkopf“ eines Tonbandgeräts. So abstrakt, wie das Wort vermuten lässt, geht es auf der Platte hingegen nicht zu. Vielmehr werden auf „Through A Pre-Memory“ verschiedene Schattierungen der Heaviness durchdekliniert, in etwa von superheavy bis ultraheavy.

Vainio und O’Malley lassen es allerdings nicht einfach krachen. In ihren Stücken, die zwischen 17 und 21 Minuten dauern, ist gelegentlich Raum für Stille, und der Klang, in dem lang gezogene Töne und verhallte Beatreste dominieren, wird mit Instrumenten wie Bratsche, Cello und Kontrabass aufgelockert. Vereinzelt erklingt Gesang. Und der hat es in sich: Mit Alan Dubin, den O’Malley noch aus der gemeinsamen Doom-Metal-Band Khanate kennt, holte man einen versierten Stimmbandschänder ans Mikrofon, der so zerquält schreien kann, dass man sich beim Hören beinahe veranlasst sehen mag, den ärztlichen Notdienst zu rufen.

Dubin „singt“ Gedichte der russischen Schriftstellerin Anna Achmatowa, die sich in ihren Texten unter anderem mit den Schrecken des stalinistischen Terrors beschäftigte. Seine Interpretation mag eingeschränkt vergnüglich sein. Der emotionalen Stimmungslage wird er auf seine Weise aber durchaus gerecht. Gefühle sind eben nicht immer schön, und warum sollte das nicht auch für Musik gelten?

TIM CASPAR BOEHME

■ Äänipää: „Through A Pre-Memory“ (Editions Mego)