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Archiv-Artikel

Alter Mann vor DDR

ERZÄHLUNG Ein Städtchen in Brandenburg. Eine Begegnung

Ja, das Übelste war das nicht, die Deutsche Demokratische Republik

VON THOMAS FEIX

Da war der Mann, der plötzlich bei mir war, vielleicht ging er wie ich spazieren. Niemand sonst außer ihm und mir war auf dem Gehweg, manchmal fuhr ein Auto auf der Fahrbahn. Er sprach mich an, als er bemerkte, wie ich zum Haus hinüberblickte, das klinkerbraun im Licht der Sonne glänzte. Er sagte, dass das Café im Erdgeschoss erst am Nachmittag öffnet, und wies mich auf die Jalousien hin, die heruntergelassen waren, und auf die geschlossene Tür. Wahrscheinlich dachte er, ich suche ein Café. Ich hatte aber deshalb hinübergeblickt, weil mir das dunkle Braun gefiel und dass es glänzte.

Er blieb stehen und sagte, dass er das mit dem Café deswegen zu mir gesagt hat, weil jeder Besucher zum Kaffeetrinken und Kuchenessen in die Stadt kommt, und ist Stadtfest, umso mehr. Alle kommen sie dann und feiern das Fest mit Kaffee und Kuchen. Wir standen in der Sonntagmittagswärme, und er sagte, ob ich nicht vielleicht mehr darüber von ihm wissen will. Weißhaarig war er, mit schwerem Leib, er hatte eine Hornbrille mit starken Gläsern auf und ein dunkles Hemd mit weißen Knöpfen und eine helle Hose an. Dreiundsiebzig ist er und in der Stadt geboren und aufgewachsen, sagte er.

Sie gefällt ihm, alles zum Leben da. Rewe, Netto, Aldi, Lidl, nahe beieinander, man hat die Auswahl, und es gibt sogar einen Edeka. Auch Bäcker gibt es reichlich, Thoben, Kamps und was weiß er, fast an jeder Ecke einen, so wie den da an der Kreuzung drüben. Bäcker sind in der DDR immer ein Problem gewesen, nie gab es genug davon, und er schwenkte mit dem Blick auf die andere Straßenseite zum Geschäft mit der großen aufgemalten Brezel auf der Schaufensterscheibe hinüber.

Russen sind bis vor 20 Jahren genug da gewesen, sagte er. Hat man auf der Straße aber kaum etwas von denen mitbekommen, sie sind immer in ihren Kasernen gewesen, oder sie sind in ihren Autos umhergefahren.

In den Kasernen guckten die blanken Drähte hervor, er weiß es, er hat im Energiekombinat gearbeitet und hat von daher die Leitungen bei den Russen überprüft. Bezirk Potsdam hieß das in der DDR, nicht Land Brandenburg wie heute. Energiekombinat des Bezirkes Potsdam, einfach war das nicht, obwohl die Russen angenehme Zeitgenossen waren. Sie hatten es doch gut bei uns, nur wie die Offiziere mit den Untergebenen umgesprungen sind. Mit ihren Leuten hier, sagte er, haben die Russen immer kurzen Prozess gemacht.

Er zeigte in eine Richtung, da hinten habe ich gewohnt. Mutter ist vor Kurzem gestorben, Vater schon ewig tot. Frau oder Kinder habe ich nicht noch andere Verwandte, die am Leben wären, und für mich allein war die Wohnung zu groß, also bin ich umgezogen. Aber nicht weit weg, in die Straße da, und er zeigte wieder in eine Richtung. Er hatte damit aufgehört, darauf zu achten, ob ich seinem Erzählen auch mit Aufmerksamkeit folge. Er hatte einen Punkt an der Hauswand hinter mir im Blick und holte alles das aus sich heraus, was in ihm war. Das war mein Eindruck.

Er sprach davon, wie friedlich die Stadt ist, wie sehr es seine Bewohner sind, nie möchte er aus ihr fort, er schätzt Friede und Eintracht, und ich hörte ihm zu und machte dabei kleine Schritte zur Seite hin weg von ihm, und er machte sie mit, er und sein Reden blieben dicht an mir dran.

Beide waren wir auf die Weise vom Hauseingang, vor dem wir gemeinsam stehen geblieben waren, Meter weiter bis zu der Ziegelmauer und zu der Einfahrt mit verschlossenem Eisentor gelangt. Bäcker hat es während der DDR nur wenige in der Stadt gegeben, sagte der Mann noch einmal, nicht mehr als zwei, glaubt er, im Zentrum einen und einen am Rand, Privatbäcker. In der Neubausiedlung hat es Brot, Brötchen und Kuchen nur in den Konsumfilialen oder in der HO-Kaufhalle gegeben.

Ich fragte ihn nach dem Wanderweg, der durch die Stadt in den Buchenwald und zum See in seiner Mitte hinführt. Ein See mit Uferrundgang und an mehreren Stellen mit Sandstrand zum Sonnen und Baden.

Er aber sagte zu mir, dass ich in die Altstadt soll, dorthin, wo die beiden Kirchen sind, da ist ein Laden an der Ecke. Wenn Sie man bloß immer gerade darauf zu und an der Eisbude vorbei und über die Brücke gehen, da gibt es Besseres als Bäume und Wasser, da gibt es alles. Alles aus den Brennereien und Keltereien in der Gegend. Schnaps, Wein, Most, Sirup, all die Sachen, gehen Sie da hin, das kriegen Sie nirgendwo anders. Wenn Stadtfest ist, kommen sie extra darum von überallher, um das zu kaufen.

Ich wollte aber den Wanderweg entlang hinaus aus der Stadt und nicht in die Altstadt hinein und sagte es dem Mann, der gestikulierend vor mir stand und mit den Ausführungen längst nicht zu Ende war.

Der Wanderweg, sagte er, jetzt zur Auskunft bereit, der Weg in den Wald und zum See hin, da brauchen Sie noch eine Weile lang und dann am Schild mit dem Pfeil nach rechts ab. Sie sind doch aber schon die ganze Zeit über richtig dorthin gewesen, soweit ich vorhin hinter ihnen war, und nun gehen Sie einfach weiter, und er zeigte die Straße hinauf, die Kopfsteinpflaster hatte und ohne Kurven war.

Ja, sagte er, das Übelste war das nicht, die Deutsche Demokratische Republik, wenn ich das einmal mit heute vergleichen darf. Wir hatten alle unser Auskommen, und nur darauf kommt es an. In der Stadt gibt es heute ganze Straßenzüge mit nichts als Geld vom Staat, und das nicht nur hier, in allen Städten Brandenburgs ist das so.

Er tauschte Stand- und Spielbein untereinander aus, ohne dabei den Vortrag zu unterbrechen. Da an der Promenade, der Italiener und der Grieche da, da werden Sie keinen von den Hiesigen finden, da sind nur die, die es sich leisten können, alle nicht von hier. Die von hier gehen sowieso immer erst spät aus dem Haus und dann dorthin, wo keine Touristen sind. Deshalb macht das Café im Erdgeschoss auch erst am Nachmittag auf. Wohnmobile mit westdeutschen Kennzeichen fuhren vorüber, Autos mit Berliner Kennzeichen dazwischen, mit Kennzeichen aus dem Land Brandenburg oder aus anderen ostdeutschen Bundesländern.

Wer weiß denn das heute noch, sagte er, wie es in der DDR gewesen ist. Weiß es doch selbst schon fast nicht mehr. Sicherer auf den Straßen war es auf jeden Fall, und heute? Heute sind die Häuser bunt angestrichen. Alles war anders.

Nur die Menschen nicht, die sind sich immer gleich. Ich bin Rentner, sagte er, Transportpolizist gewesen, DDR-Bahnpolizei, ich komme hin. Nur manchmal ist mir langweilig. Gehe dann spazieren. Im Frühjahr und im Sommer ist das herrlich, im Herbst auch noch, im Winter jedoch gehe ich nicht raus. Bin dann in der Stube, habe den Fernseher an und warte darauf, dass Weihnachten ist und Neujahr, und dann kommt schon der Frühling. Eben einen gehoben, sagte er, Frühschoppen, und jetzt geht es nach Hause. Als Erstes hinlegen eine Stunde lang und als Nächstes Mittag machen, was esse ich denn heute, was ist heute dran, Suppe oder Nudeln, was aus der Dose, was man sich so alleine macht.

Seine Wangen waren gerötet, vielleicht des von ihm Gehobenen wegen. Vielleicht war es auch schuld daran, dass der Redefluss nicht versiegte. Doch manchmal floss er träge, und ich war jetzt wieder aufmerksam. Ob es in der Umgebung noch welche von den Russenkasernen gibt, fragte ich den Mann.

Das weiß er nicht, sagte er, aber er vermutet es, dass es sie noch gibt. Doch was in denen jetzt drin ist, weiß er auch nicht. Die Russen haben immer angehalten, wenn sie Tramper am Straßenrand gesehen haben und haben sie mitgenommen, die Russen waren gut, sagte er.

Sie sind nun schon weit gekommen, sagte er. Der Wanderweg, wie gesagt, immer der Straße nach, und dann nach rechts ab, sobald der Pfeil auf dem Schild kommt. Schönen Tag, hat mich gefreut, muss über die Straße rüber, vielleicht irgendwann einmal wieder. Er hat ein Leben, dachte ich mir, während ich ihm hinterherblickte, dessen Höhepunkt es ist, Passanten anzusprechen, denen er ansieht, dass sie fremd in der Stadt sind.