: Eine vorsichtige Annäherung
HESSEN Eigentlich glaubt kaum jemand an Rot-Grün-Rot. Doch die Stimmung bei den Sondierungen ist bislang ziemlich gut. Linksfraktionschefin Janine Wissler sieht sogar schon Einigungen „in Details“
BERLIN/FRANKFURT taz | Am heutigen Donnerstag treffen sich Linkspartei, Grüne und SPD zum vierten Mal zu Gesprächen. Schon das ist angesichts der komplizierten Vorgeschichte nicht selbstverständlich.
2008 brachten vier SPD-Abweichler die erste rot-rot-grüne Zusammenarbeit rüde zu Fall. Im Wahlkampf wollte SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel die Linkspartei noch aus dem Landtag kegeln. Zuletzt bezeichnete SPD-Chef Sigmar Gabriel die Linkspartei in Hessen als „irre“. Und jetzt soll man in den Modus vertrauensvoller Zusammenarbeit switchen – für einen rot-grün-roten „Politikwechsel“?
Janine Wissler, 32, ist Fraktionschefin der Linkspartei in Hessen – und vorsichtig optimistisch. Gabriels Attacke „ist bei uns nicht gerade auf Begeisterung gestoßen“, so die Linke. Doch man dürfe sich nicht vom Wesentlichen abhalten lassen. Das ist: „Wir haben Verantwortung“, so Wisslers staatstragend klingende Ansage. Bei den drei rot-rot-grünen Sondierungen habe sich gezeigt, dass es viel Gemeinsamkeiten gebe. Beim Vergabegesetz, bei Mitbestimmung, Bildung und Energiewende sei man sich nicht nur in der groben Richtung näher gekommen, sondern „auch in Details“. So auch bei der Wohnungspolitik und dem Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen. Die SPD, glaubt Wissler, „sieht das auch so“.
Dass die Stimmung bei den Sondierungen bislang recht erfreulich war, hört man auch von den Sozialdemokraten. Die SPD-Landtagsabgeordnete Nancy Faeser ist Mitglieder der Verhandlungskommission und zählt eher zum Linkspartei-kritischen Flügel. Doch auch sie lobt die „durchgängig konstruktive und angenehme Atmosphäre“ bei den Gesprächen.
Das reicht allerdings nicht für eine Koalition. Die größte Hürde ist das Geld. Darüber wird heute geredet. SPD und Grüne sind Anhänger der Schuldenbremse, die dem Land Hessen verbietet, ab 2020 neue Schulden aufzunehmen. Im Haushalt klafft aber derzeit eine Lücke von rund 1,5 Milliarden Euro. SPD und Grüne halten Personalabbau im öffentlichen Dienst daher für unumgänglich – das ist für die Linkspartei ein No-Go. „Wenn die erste rot-rot-grüne Koalition Stellen bei Lehrern oder im öffentlichen Dienst streicht, wäre das ein fatales Signal“, warnt Wissler.
Angesichts des strukturellen Milliardendefizits sucht nun auch Finanzpolitiker von Rot-Rot-Grün Einsparmöglichkeiten. Die Rede ist von rund 500 Millionen Euro, die man an Entbehrlichem streichen könne. Wissler sieht auf allen Seiten die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Auch Linkspartei-Chef Ulrich Wilken glaubt: „Alle sind ernsthaft bemüht, das hinzukriegen.“
Auffällig ist, dass die Linkspartei lieber Gemeinsamkeiten mit Rot-Grün betont – und nicht erstmal so lange dicke rote Linien zieht, bis alle Hoffnung auf Einigung erloschen ist. Sollte es zu einer Koalition kommen, hätte Rot-Grün-Rot mit 57 von 110 Stimmen im Landtag nur eine sehr knappe Mehrheit. Das weckt ungute Erinnerungen an 2008, als Andrea Ypsilantis Wahl zur Ministerpräsidentin scheiterte. Doch die SPD-Abgeordnete Faeser ist optimistisch: Es gebe bei der SPD „keine Angst, in eine Situation wie 2008 zu kommen“.
In Wiesbaden glauben zwar viele, dass Rot-Grün-Rot am Geld scheitern wird – und es am Ende auf Schwarz-Grün hinauslaufen wird. Doch der SPD dämmert langsam, dass sie damit auf dem Abstellgleis landet.
Vor allem SPD-Linke fürchten, dass den Sozialdemokraten damit langfristig ihr Koalitionspartner abhanden kommt. In Frankfurt regieren die Grünen seit über sieben Jahren störungsarm mit der CDU. Wenn das auch im Land passiere, „kommen wir aus der Opposition nie mehr heraus“, schwant einem SPD-Linken.
STEFAN REINECKE, TIMO REUTER