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Archiv-Artikel

Pulsmesser des Kapitalismus

TANZ Wie bewegt man sich zu Fragen der Gier, und ist in der aktuellen Krisenzeit ein Sirtaki bereits Protest? In zwei neuen Produktionen von MS Schrittmacher und Christoph Winkler tanzt man hinein ins Politische

VON ANNETT JAENSCH

Mit dem Goldpreis geht’s momentan wieder bergab. Das hat die Kompanie MS Schrittmacher nicht davon abgehalten, dem guten alten Edelmetall ein Stück zu widmen. Choreograf Martin Stiefermann und sein Ensemble wollen in „Gold ®“ dem Virus Gier nachspüren und haben dafür in den Eden-Studios einen ungewohnt theatralen Rahmen geschaffen. Eine lauschige Bühnenlandschaft ist hergerichtet, eine Folie breitet sich als Wiesenimitat bis auf die Publikumsränge aus. Die vier Charaktere führen sich als wackere Dorfgemeinschaft ein, in der die Welt noch in Ordnung ist. Man ahnt natürlich, dass es in diesem kammerspielhaften Soziotop bald krachen wird.

Und es kommt, wie es kommen muss. In der Idylle bricht die Zwietracht aus, als das fünfte Element auftaucht: das Gold in Person einer verführerischen Fremden. Schlagartig verändert die goldschimmernde Nackte das Miteinander. Die Akteure tändeln um sie herum, bezirzen sie, packen sie grob an, während pure Raffsucht aus den Augen blitzt und die Gemeinschaft zusehends zerfällt.

MS Schrittmacher sind nicht die Ersten, die derartige Allegorien über das Streben nach Reichtum zimmern. Was jenseits der vorhersehbaren Geschichte verfängt, ist die tänzerische Umsetzung. Immer fiebriger gehen sich die Tänzer an, die steile Erregungskurve in der Gegenwart des magischen Metalls wird zur Chiffre für Beschleunigung.

Konzentriertes Spiel

„Uns hat interessiert, welcher Motor Krisen antreibt“, sagt Stiefermann. Der Wettlauf um die beste Position, Konkurrenz um Werte und Waren, das Stück will im Kleinen die großen Themen der krisengeprägten Gegenwart verhandeln. Was auch gelingt, nicht zuletzt dank der konzentriert spielenden Darsteller, die der altbekannten Parabel Charme einhauchen.

Während MS Schrittmacher als Ursacherforscher in Sachen Kapitalismus unterwegs sind, platziert Christoph Winkler seine neueste Produktion am anderen Ende der Ereignisachse. „Das wahre Gesicht – Dance is not enough“, gerade im Ballhaus Ost gezeigt, setzt bei Protestbewegungen an und speziell bei der Frage, wie politisch Tanz eigentlich sein kann.

Die Spielfläche für die vier Performer ist ein klinisch weißes Bühnenoval. Als Auftakt ist ein Video mit Szenen eines Straßenprotests in Kairo zu sehen. Aus Protest gegen die proklamierte Gleichsetzung von Tanz und Pornografie durch die Muslimbrüder veranstalteten Tänzer des Balletts dort im Juni dieses Jahres ein Sit-in vor dem Kulturministerium. Dabei tanzten sie auch Sirtaki in Anlehnung an das Ballett „Zorba“. Auf der Bühne geraten nun Winklers Akteure darüber in ein Streitgespräch. Ist das adäquater Protest? Müsste er nicht radikaler sein?

Wie schon in „Dance! Copy! Right!“ hat der Berliner Choreograf mit Hang zu politischen Themen die Türen weit aufgemacht und viel Text hereingelassen. Wenn die vier Performer im Halbkreis stehend Argumente abfeuern, wirkt das zunächst wie ein überambitionierter Debattierzirkel. Bevor die Diskurslast jedoch zu mächtig gerät, wird sie weich abgefedert durch Ironie und Bewegungswitz. Das Quartett klopft diverse Beispiele auf Protesttauglichkeit ab. So führt Ahmed Soura aus Burkina Faso vor, wie Frauen in Südafrika mit einem wütenden Straßentanz gegen Unrecht aufbegehren. Vier Männer, die sich entsprechend feminin schütteln oder wenig später pompomwedelnd zum Cheerleading aufmarschieren, entbehren nicht einer gewissen Komik.

Die Tänzer trampeln gestisch auf Fahnen, pflastern die Rückwand mit Parolen wie „Your body is a weapon“ oder tanzen zu Protesthymnen wie „Get up, stand up“. Was dieses wilde Mashup zusammenhält, ist die Frage, was passiert, wenn Inszenierungen der Macht und des Protests aufeinanderprallen. Winkler interessieren sowohl diese Mechanismen als auch Tendenzen im Arts Activism. Hier werde oftmals ein Ideal konstruiert, so Winkler, das zu hinterfragen habe ihn gereizt. Politische Kunst soll nicht nur die Welt abbilden, sondern zu Aktionen bewegen, heißt es an einer Stelle.

Ist Tanz mit seinem unmittelbaren Ausdruck die Antwort? Winkler will dazu allenfalls Reflexionsangebote bieten, dafür gönnt er dem Stück viel spielerischen Freiraum. Auch wenn das letzte Drittel etwas überfrachtet wirkt, ein gewitzt intelligenter Kommentar zur Protestkultur bleibt es dennoch.

■ Weitere Vorstellungen von „Gold®“: 8.–10. und 13.–16. 11., 20.30 Uhr, Eden, Breite Straße 43