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Archiv-Artikel

Vom Verschwinden des Witzes

Der Komiker Günter Willumeit, besser bekannt als Bauer Piepenbrink, wird am Sonntag mit dem Münchhausen-Preis der Stadt Bodenwerder ausgezeichnet. Doch der Wald-, Feld-, Wiesenwitz scheint, bedroht von Internet und Fernsehen, auf dem Rückmarsch. Eine Erkundung

„Ich versuche es ohne Peitsche. Die Leute sollen eineinhalb Stunden Urlaub vom Alltag haben“

von FRIEDERIKE GRÄFF

Wenn man sehen möchte, wie es um den Witz in Deutschland bestellt ist, nimmt man von Hamburg aus die S-Bahn Linie 3, steigt in Neugraben um in den Bus Nummer 257 bis zum Arp-Schnitger-Stieg im Stadtteil Neuenfelde. Zum Festzelt sind es dann nur noch ein paar Schritte, vorbei an blühenden Obstbäumen, in der Grundschule übt der Festspielzug, und links steht das Haus der Freiwilligen Feuerwehr. Die Spielvereinigung Este 06 feiert ihr 100-jähriges Jubiläum, sie feiert es mit Günter Willumeit. Der tritt seit 30 Jahren als Bauer Piepenbrink auf und zählt, wenn man der Jury des Münchhausen-Preises glauben darf, die ihn morgen auszeichnen wird, zu „Deutschlands beliebtesten und größten Humoristen“.

Die Halle ist in den Vereinsfarben blau-gelb geschmückt, gelbe Rüschenbahnen hängen an der Decke, die Tische sind blau-gelb gedeckt. „Wir haben einen Gast hier, der uns hoffentlich gut unterhalten wird“, so kündigt man Willumeit an und in den Applaus mischt sich ein „Ho“, das zeigt, das man ihn hier kennt.

„Vielen Dank für den berechtigten Beifall“, sagt Willumeit. „Leger“ solle er sich kleiden, haben ihn die Organisatoren von Este gebeten, leger ist er gekommen: Schwarzes Barett, Weste, T-Shirt. Auch das Publikum soll bekommen, was es will. Willumeit hat kein festes Programm, er wählt je nach Reaktion der Zuhörer aus acht Stunden Repertoire aus. Will das Publikum ein bisschen Sex? „Mein Freund Steffen ist ein Angsthase. Immer wenn seine Frau verreist ist, schläft er bei der Nachbarin.“ Das Publikum will Sex und eigentlich gern auch ein bisschen derber. Will das Publikum Ausländerfeindliches? Am Stammtisch sitzen Apotheker, Bürgermeister, Kreistagsabgeordnete, erzählt Willumeit. Einer sagt, dass Emnid eine Umfrage dazu gemacht habe, ob es in Deutschland zu viele Ausländer gebe. 12 Prozent hätten gesagt: „Ich weiß nicht.“ 33 Prozent hätten gesagt: „Ja.“ Und die übrigen 65 Prozent hätten gesagt: „Kannst du Frage wiedaholen?“ Die Leute klatschen, sie klatschen laut. Vermutlich würden sie gern mehr dieser Art hören, aber Willumeit erzählt nur noch von den Dänen, die noch bellten, als die Deutschen schon drei Sprachen konnten. Dann verlegt er sich auf Viagra und den Puff, aber es ist der 93-jährige Großvater, der dort hin möchte.

Vielleicht meint Willumeit die Einbettung ins Dörflich-Ländliche, wenn er sagt: „Ich versuche es ohne Peitsche. Die Leute sollen eineinhalb Stunden Urlaub vom Alltag haben.“ Urlaub mit Witzen, die Willumeit aufschnappt, in Zeitschriften wie der Bäckerblume findet oder sich, seltener, selbst ausdenkt. Mit der Peitsche sind für ihn die Kollegen aus dem Fernsehen unterwegs, er nennt sie nur „die heutige Szene“ und meint Komiker wie Oliver Pocher, der zu einer Zuschauerin sagte: „Du siehst ganz schön alt aus für dein Alter.“ Willumeit sagt „Ihr Lieben“ zu seinem Publikum. Er gründet mit den Leuten den ersten gemischten Chor von Este 06 und singt ein Lied, dessen ersten Strophe so beginnt: „Ein Stacheldraht, das ist ein Draht, der Stacheln hat.“

Willumeit sagt, dass er keine Witze auf Kosten von Schwulen oder Alten machen würde: „Ich habe meinen Schwiegervater an Demenz leiden sehen.“ Später macht er einen Witz über eine alte Frau. Er geht etwa so: Hermine sagt: „Gott sei Dank bin ich noch fit“ und klopft sich an die Stirn. Tok, tok, tok. Und fragt: Wer hat denn da geklopft?“ Willumeit erzählt den Witz natürlich besser. Er macht das gut, nimmt sich Zeit, kann diverse Dialekte und Prominente nachahmen. Aber die Leute lachen kaum, als er der Reihe nach die Bundespräsidenten vorführt, Heuss, Lübke, Brandt. Vielleicht erkennen sie die Stimmen nicht. Wahrscheinlich fehlt ihnen das Boshafte oder etwas Schlüpfriges.

Willumeit bewundert Komiker wie Heinz Erhardt oder Loriot. Die haben Witze erzählt in einer Zeit, als man sich als Komiker noch nicht gegenseitig in Tabubrüchen übertrumpfen musste, weil die Sender die Quote mit der all der anderen Komiker – und der wenigen Komikerinnen – verglich. Man tauchte nicht wöchentlich im Fernsehen auf. Aber natürlich gehört Loriot zu einer anderen Klasse. Es scheine ihm „angemessen, vier Stücke in einem Jahr zu produzieren“, hat er einmal auf die Frage eines Talkmasters geantwortet. Ihn interessiert die „zerbröselte Kommunikation“ und die Höflichkeit seines Tons ist vor der Pöbelei der anderen um so auffallender.

Doch es wäre absurd, eine Verflachung des Humors zu beklagen. Loriot ist ein einsamer Gipfel und es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Witze im allgemeinen besser oder schlechter würden.

Es scheint vielmehr, als stürbe der erzählte Witz, sozusagen der Feld-, Wald-, Wiesen-Witz aus. Zumindest hat das die New York Times behauptet und es ist kein Wunder, dass eine amerikanische Zeitung die Todesnachricht als erste verbreitet: Anders als in Deutschland gibt es in in England und den USA Akademiker und Gesellschaften, die sich ganz der Humorforschung widmen. Als Gründe nennt die Times die Konkurrenz des Internets, den Geist politischer Korrektheit, der Witze auf Kosten anderer, vor allem von Minderheiten ablehne, und die geringe Aufmerksamkeitsspanne der Jungen.

Auch Oliver Domzalski findet, dass es nicht gut bestellt ist um den Witz. Er ist Lektor für den Bereich Humor im Eichborn-Verlag, der vor über 20 Jahren die Leser mit dem Comic „Das kleine Arschloch“ überraschte. Das kleine Arschloch war auf eine Weise unverschämt, die man bislang nicht kannte und gerne kaufte. „Das hat sich offensichtlich verändert“, sagt Domzalski. Während der Verlag in den 80er Jahren fast 75 Prozent seines Umsatzes mit Humorbüchern machte, sind es heute gerade mal 10 Prozent. Und das liegt nicht daran, dass sich das Sortiment erweitert hat. Auch im bundesdeutschen Buchhandel ist der Anteil der Gruppe Humor, Cartoon, Comics und Satire in der Belletristik zwischen 2004 und 2003 von 12 Prozent auf die Hälfte gesunken. Frühere Zahlen gibt es nicht. „Der Humor“, sagt Domzalski, „ist abgewandert ins Internet und ins Fernsehen.“ Dort fächere er sich so weit auf, dass die Schnittmenge derer, die sich Witze weitererzählen könnten, immer kleiner wird.

Domzalski sagt, dass der Geist der Korrektheit auch den Verlag erreicht habe. Witze erzähle man sich in der Eichborn-Kantine nicht. Domzalski glaubt, dass wir in einer Zeit leben, in der immer mehr Bereiche unernst würden. Dass der Bedarf an Witz vielleicht deshalb sinke, weil nun auch schon die Politik komisch sein wolle.

Draußen im Festzelt von Neuenfelde singt Günter Willumeit noch das Lied vom Knecht und der Magd. Er singt es mit ostpreußischem Dialekt, weil seine Eltern von dort kamen. Vor dem Zelt sitzen ein paar Teenager im Mondlicht. Sie sitzen so nah vor der durchsichtigen Plastikplane, dass es so aussieht, als blieben sie aus Prinzip draußen.