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Archiv-Artikel

Speckflagge gegen Hammaburg

Abseits des Fußballplatzes ist Bremen ein historischer Verlierer. Die alte Rivalität zwischen Hamburg und Bremen ist schon längst keine mehr. Deshalb kann sie ihre Fortsetzung nur im Sport finden: Werder und der HSV beharken sich stellvertretend

von Jan Kahlcke

Stolz sind sie, die Bremer. Auf ihre Geschichte. Auf ihre Selbständigkeit. „Europas älteste Stadtrepublik“ hat Ex-Bürgermeister Hennig Scherf sein Gemeinwesen gern genannt. Aber wenn sie auf die große Schwester Hamburg blicken, werden sie ein bisschen neidisch. Dann denken sie: Hätte nicht alles auch ganz anders kommen können?

Hätte es. 845 zum Beispiel, als die Wikinger dem Hamburger Bischof Ansgar seinen ärmlichen hölzernen Bischofssitz, die Hammaburg, abfackelten und der seinen Bischofssitz nach Bremen verlegte. Damals schien Hamburgs Schicksal besiegelt, die Siedlung den Marodeuren preisgegeben. Bremen dagegen erlebte seine erste Blüte.

Vielleicht wäre es dabei geblieben, hätte die Kirche nicht auch den hohen Norden notfalls mit dem Schwert christiansieren wollen. Und dafür war Hamburg eine unverzichtbare Bastion, die wieder und wieder aufgebaut wurde. Als der Ostseehandel im 14. Jahrhundert einen Aufschwung erlebte, lag Hamburg goldrichtig: Als Ostseehafen für das damals mächtige Lübeck. Als Hamburg in die Hanse eintrat, war Bremen schon das erste Mal wieder rausgeflogen: Es lag abseits der wichtigen Handelsverbindung London-Nowgorod, die Interessen der Bremer lagen eher im Nord-Süd- als im Ost-West-Handel. Für Hamburg dagegen ging es nur noch bergauf: Die Kaufleute von der Elbe gewannen in der Hanse schnell an Einfluss und Unabhängigkeit.

Die stolzen Bremer legten sich ein ums andere Mal mit den Hanseverbündeten an, wurden insgesamt dreimal ausgeschlossen. Dass die Stadt trotzdem prosperierte, mag am Motto der Kaufmannschaft gelegen haben: „Buten un Binnen, wagen un winnen“. Nur mit dem „buten“ wurde es immer schwieriger, und daran waren nicht politische Ränke schuld, sondern die Natur: Die Weser versandete zusehends, immer weniger Handelsschiffe fanden den Weg in den Hafen. Man behalf sich zunächst mit Deutschlands erstem künstlichen Hafen in Vegesack 1623, 1827 schließlich gründen die Bremer Bremerhaven, einen eigenständigen Seehafen, 60 Kilometer flussabwärts in der Wesermündung gelegen. Während Bremen enorme Kosten für den Seezugang aufbringen musste und bis heute unter der räumlichen Trennung von seinem Hafen leidet, konnte Hamburg alle Energie in den Ausbau der eigenen Infrastruktur stecken.

Ende des 19. Jahrhunderts machten die Hamburger Reeder den Bremern auch noch das neueste Geschäft streitig: Die Auswanderung. Bremerhaven war über Jahrzehnte das Tor zur neuen Welt gewesen, innerhalb von ein paar Jahren hatte Hamburg höhere Passagierzahlen. Aber immerhin wurden in Bremen noch die größten Pötte gebaut: Werften wie Bremer Vulkan und AG Weser waren eine Klasse für sich. Doch in den 1970er Jahren wurden sie zur Achillesferse der Bremer Wirtschaft. Nach dem großen Werftensterben war Bremen nur noch in einer Kategorie spitze: Bei der Arbeitslosigkeit.

Und heute? Bremen schrumpft, Hamburg wächst. Weil die bremischen Häfen am Ende ihrer Kapazitäten sind, muss das Land eine zweite Auslagerung nach Wilhelmshaven riskieren, Hamburg hat noch Flächenreserven für die nächsten 50 Jahre. Bremen buhlt verzweifelt um ein paar Touristen, Hamburg laufen sie in Scharen zu. In Bremen scheitert ein subventioniertes Musical, in Hamburg eröffnen ständig neue Spielstätten. Ganz Deutschland blickt auf Hamburgs HafenCity, dabei entwickelt Bremen in der Überseestadt ein dreimal so großes Quartier. Das Land Bremen setzt hunderte von Millionen beim Space Park in den Sand, in Hamburg stehen die Stifter für die Elbphilharmonie Schlange. Und einmal mehr schaut die Wirtschaft Richtung Ostsee. Wie ungerecht!

Eine Konkurrenzsituation ist das schon lange nicht mehr. Hamburger lächeln milde, wenn sie auf den kleineren Hansestadtstaat angesprochen werden und Bremer pflegen zu sagen, dass sie das Persönliche an ihrer Heimatstadt schätzen, die kurzen Wege und den direkten Draht. Und außerdem haben sie ja noch Werder Bremen. Der Fußballclub trägt die ganze Last, das Bremer Selbstbewusstsein hochzuhalten, allein. Rehagel, Bode, Schaaf und Klose, das sind die Bremer Helden der Neuzeit. Was gäbe es da für einen besseren Lieblingsfeind als den Hamburger Sportverein?