: Neun Monde in einer Frau
Wann ist ein Mann kein Mann? Neue Antworten auf die Männlichkeitsfrage
Früher begann der Tag für jeden Mann mit einer Schusswunde, wie man weiß. Außer natürlich, wenn die Kugel an der Haut einfach abprallte! Damals waren echte Männer noch ganze Kerle, die auch ohne Arme, Beine, Kopf und Rumpf furchtlos jeden Gegner zum Kampf stellten. Ein Gegner aber, der diese Herausforderung annahm, wenn von ihm selbst noch der kleine linke Finger übrig war, galt als unfair und feige. Männer hatten einen harten Keks, tranken ihren eigenen Schweiß und schliefen lieber stehend in einem hohlen Baum statt in einem parfümierten Bett. Liegen war etwas für Weiber.
Es waren Männer, die schon in ihrer Jugend Backsteine aßen und mit ihren bloßen Knien Bären niederrangen. Bereits als Kind waren sie so groß und stark, dass sie mit einer Arschbacke einen Hohlweg vor dem anrückenden Feind sperren konnten. Schon in der Wiege kämpften sie mit Waranen und sangen mächtige Kampflieder, dass sogar die Gewitter ängstlich verstummten, nachdem zuvor die männlichen Föten im Mutterleib neun Monde ohne Bier und Schraubenschlüssel tapfer durchgestanden hatten ohne weibische Klage.
Es waren Männer, die ein 18 Kilo schweres Geschlechtsteil besaßen und einen ins Meer rutschenden Kontinent mit nackten Händen aufhalten konnten. Ihr Zuhause war mit den Köpfen ihrer Feinde ausgelegt statt mit schwulen Teppichen.
So war es früher, als die Zeit noch richtig rum lief! Seit der Erfindung der Frauenbewegung aber sind die Männer ins Rutschen gekommen. Mehr und mehr Angehörige des zarten Geschlechts greifen mit starkem Finger zum Hammer, setzen ihre zwei Hinterbäckchen in den Chefsessel und sagen dem kleinen Mann in sein dickes Ohr hinein, wo’s lang geht. Schon sieht der Mann eine schlimme Zukunft vor seiner Nase aufgehen, in der Frauen genau wie Männer sind, nur anders herum. Wann, diese Frage bohrt sich in den maskulinen Schädel, ist dann ein Mann noch ein Mann?
Fest steht: In manchen Kulturkreisen ist ein Mann kein Mann, wenn seine Schwester ihr Haar offen auf dem Kopf trägt oder mit einem Macker ins Bett gerät, der wo nicht von unserer Familie ist. In anderen, vor allem unter jungen Männern verbreiteten Kreisen ist ein Mann bereits ein Mädchen, wenn sein Wortschatz größer ist als die Zahl seiner Nahkampfgriffe und er mehr Muskeln im Kopf als an den Armen hat. In wieder anderen, feineren Kulturen ist ein Mann sogar schon eine ausgewachsene Frau, wenn er Volleyball besser findet als Fußball oder einen weichen Tee lieber trinkt statt einen fetten Schnaps, der nach schwarzem Motoröl schmeckt und wie Schlamm die Kehle herunter kriecht.
Das traditionelle Männerbild ist in unserer libertären Gesellschaft löchrig geworden wie eine ausgeleierte Zielscheibe, ein neues aber noch am Dampfen und Brodeln. Was ist erlaubt, was ist erst recht erlaubt? Wovon sollte man sein bestes Stück lassen? Gewiss darf ein moderner Mann seine Schwanzhaare rosa färben oder sein Rektum parfümieren. Der Staatsanwalt ruft deshalb nicht nach gesiebter Luft. Nachbarn und Arbeitskollegen aber werden sich vielleicht mit den Händen an den Kopf fassen und ins Leere greifen. Wie viel Sensibilität darf ein Mann aus sich herauslassen, ohne dass es riecht?
Um in unserer liberösen, ja liberilen Gesellschaft keinen Zweifel auf sein Haupt zu laden, hier eine kleine Liste. Nach derzeitigem Forschungsstand ist ein Mann kein Mann, wenn er:
im Sitzen pinkelt; ein kleines Auto fährt; Rohköstler ist; keine Brusthaare hat, denn richtige Männer haben Brusthaare auch am Rücken; Milch trinkt; Schach spielt, statt ein Loch in die Wand zu bohren; seine Hosen selber kauft; ins Theater geht statt auf den Sportplatz; Briefe schreibt; sich wäscht; gern mit Frauen zusammen ist; eine Allergie hat, denn Männer von rechtem Schrot und Korn haben Knochenbrüche; Pudding isst; lächelt; zum Arzt geht, denn ein wirklicher Mann sägt sich einfach ein Stück Holz für den abgefallenen Arm zurecht; klassische Musik hören, denn harte Männer wollen Motoren heulen und Bohrmaschinen kreischen hören; fragt; jeden Morgen eine frische Unterhose anzieht; etwas schön findet; Bücher kauft, denn gestandene Mannsbilder kaufen einen Sack Zement, einen Motor zum Auseinanderschrauben, eine Kiste Munition; sich überzeugen lässt, denn ganze Kerle weichen allein Bomben und Granaten, und sei’s stückweise; eine Wohnung hat, denn echte Männer wohnen auf Bäumen; diesen Artikel liest; nicht genug Selbstbewusstsein hat, um Gott für seinen kleinen Bruder zu halten.
Einen Mann, der diese Ratschläge beherzigt, wird niemand mit spitzer Zunge einen Weichduscher, Milchbart oder Schluffi zu nennen wagen. Man kann zwar einwenden, dass dieses Männerbild dem alten gleicht wie ein Sackei dem anderen. Und das ist doch herrlich, oder?
PETER KÖHLER