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Archiv-Artikel

Und ewig ruft der Gral

Mit Dan Browns Thriller „Das Sakrileg“ als Reiseführer auf der Suche nach dem Heiligen Gral. Echte Trendsetter werden nun zu Setjettern und fliegen die Drehorte des „Da Vinci Code“ ab

von REGINA KUSCH

Eine Filmkulisse, die die Fantasie anregt: Temple Church in London, zwischen Themse und Fleet Street gelegen, im 12. Jahrhundert nach dem Vorbild der Jerusalemer Grabeskirche erbaut. Majestätisch ruhen neun lebensgroße steinerne Ritterfiguren auf dem Boden des Rundbaus.

Tempelritter sollen den Heiligen Gral, den Originalkelch vom biblischen Abendmahl, nach Europa gebracht und sicher versteckt haben. So gut, dass ihn bis heute niemand fand. Die Kunsthistorikerin Maria Bergman spekuliert in ihren „Da Vinci Code“-Führungen munter über das Gralsgeheimnis. Vielleicht sei der Gral gar kein Gefäß, sondern ein Dokument, das die Blutlinie Christi beweise. „Hier die Rose im Glasfenster“, flüstert sie verschwörerisch, „das Zeichen der Maria Magdalena.“ Die war laut Dan Brown, dem Autor des Bestsellers „das Sakrileg“, mit Jesus Christus verheiratet und Mutter eines gemeinsamen Kindes. Das Buch wurde nun an Originalschauplätzen unter anderem in England unter dem Titel „Da Vinci Code“ verfilmt.

Die Spuren auf dieser Schnitzeljagd im Gefolge des Films führen auch in die National Gallery am Trafalgar Square, in der das Gemälde die „Felsgrotten Madonna“ zu bewundern ist. Auch sie spielt eine Rolle im Film. Weiter geht es durch den St James’s Park, dem Schauplatz eines eiskalten Mordes, und nach Westminster Abbey, wo Isaac Newton begraben liegt. Der soll wie Leonardo da Vinci einer geheimen Bruderschaft angehört haben, glaubt man dem Autor Dan Brown.

Der hat für viele seiner Behauptungen in „Sakrileg“ keine Belege und sei schlampig recherchiert. Viele Örtlichkeiten sind falsch beschrieben.Vielleicht habe sich die Kirche über die vielen Fehler geärgert und deshalb die Dreharbeiten in Westminster Abbey untersagt, spekuliert Maria Bergman.

Diese Entscheidung kam den Stadtvätern von Lincoln jedenfalls gerade recht. Zu wenig Touristen besuchten den romantisch verschlafenen Ort in Mittelengland. Das änderte sich schlagartig, als die „Da Vinci Code“-Produzenten ihr Set dorthin verlegten und in der größten gotischen Kathedrale des Landes Teile von Westminster Abbey einfach nachbauten. Auf Leinwänden rekonstruierten die Bühnenbildner Wandmalereien. Täuschend echt. Nach Abschluss der Filmaufnahmen hat man Teile der exquisiten Kulissen bis auf weiteres als Dauerausstellung stehen lassen. Stiftsherr Gavin Kirk fühlt sich sichtlich wohl in seiner Westminster-Kopie und ist sogar ein wenig stolz auf die „herrlichen Fresken aus dem frühen 21. Jahrhundert“.

Dass die Gralsdebatte wieder einmal ausgegraben wurde, gefällt dem Geistlichen, es belebt die theologische Diskussion in der Gemeinde. Für ihn und seine Mitarbeiter wurde das Buch zur Pflichtlektüre. Es sei spannend und sehr unterhaltsam. Beschuldigungen Dan Browns, die Kirche unterdrücke seit Jahrhunderten die Wahrheit über den Verbleib des Grals, stören ihn nicht – das alles sei bloß harmlose Fiktion.

Val Pacey, seit vielen Jahren Fremdenführerin im Dom von Lincoln, hat ihre Rundgänge jetzt mit Anekdoten von den Dreharbeiten ausgeschmückt. Begeistert zeigt sie den Besuchern Fotos der vielen Statisten, die in ihren bunten Kostümen die Kirche füllten. „Genauso muss es hier im 18. Jahrhundert ausgesehen haben.“

Mit dem Einzug der Filmemacher erlag Lincoln einem wahren Tom-Hanks-Fieber. Fünf Tage lang lauerten hunderte von Schaulustigen vor den Eingängen der Kathedrale, um einen Blick auf den prominenten Hauptdarsteller zu erhaschen. Der Manager des altehrwürdigen, etwas plüschigen „White Hart Hotels“, in dem Teile der Filmcrew abgestiegen waren, stellt erfreut fest, dass die Buchungen in seinem Haus drastisch anstiegen, vor allem für die Hochzeitssuite mit dem Ausblick auf die Kathedrale und dem geblümten Himmelbett, die Tom Hanks bewohnte. Geistesgegenwärtig hat die lokale Tourismuszentrale ein Reiseangebot mit dem Slogan „Crack the Code in Lincolnshire!“ ausgearbeitet. Dass Lincoln bei Dan Brown überhaupt nicht vorkommt, kümmert niemanden. Im Gegenteil, man fand sogar noch weitere spektakuläre Kulissen in der Grafschaft. Eine Spur im Krimi führt nach Rom, die Filmcrew verlegte die Tiberstadt nach Stamford. Hier kommen Setjetter voll auf ihre Kosten.

Burghley House, seit Jahrhunderten im Besitz einer geschäftstüchtigen Familie, diente bereits als Kulisse für die Verfilmung von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“. Den prachtvollen Deckenmalereien des italienischen Künstlers Antonio Verrio verdankt das Tudor-Landschloss jetzt eine Rolle im „Da Vinci Code“ als Castel Gandolfo, der Sommerresidenz des Papstes.

Weil es allen so gut gefiel, ließ der Produzent flugs die Stallungen in ein französisches Dorf umbauen und drehte die Szene mit den Hexenverbrennungen gleich mit ab. Die Reise endet, wie sie begonnen hat, in einer Tempelritterkirche, 19 Kilometer südlich von Edinburgh in Rosslyn Chapel, von jeher ein Wallfahrtsort für Gralssucher.

Im letzten Jahr haben sich die Besucherzahlen fast verzehnfacht. Yvonne Press vom schottischen Fremdenverkehrsbüro glaubt, dass viele Touristen insgeheim hoffen, doch noch etwas zu finden, das vorher noch niemand entdeckt hat. Unter Rosslyn Chapel sollen nämlich 14 Tempelritter in voller Rüstung versteckt liegen, ein immenser Schatz und vielleicht auch der Heilige Gral, was immer er auch sein mag.

Die Verfilmung von „Sakrileg“, des„Da Vinci Codes“, kommt am 18. Maiweltweit in die Kinos