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Archiv-Artikel

„Zigeuner schau’n“

Les Saintes-Maries-de-la-Mer zieht durch den Ruf als „Zigeunerhochburg“ zehntausende Touristen an – die Roma, die sich dort treffen, erwartet alles andere als Gastfreundlichkeit

von LISA SCHMIDT

Alles dreht sich um „Zigeuner“ in Les Saintes-Maries-de-la-Mer. Das 2.500 Einwohner zählende Städtchen an der Küste der französischen Camargue ist allseits bekannt als „Treffpunkt der Zigeuner“, besonders während der so genannten Zigeunerwallfahrt am 24. und 25. Mai. Das Dorf schmückt sich mit fremden Federn – und es wirkt: Zum alljährlichen „Zigeunerschau’n“ wird die Wallfahrt von nicht weniger als 30.000 Schaulustigen besucht. Allerdings ist nichts, wie es beworben wird …

Überall „Zigeuner“-Souvenirläden, „Zigeuner“-animierte Bars und „Zigeuner“-Restaurants in Les Saintes-Maries-de-la-Mer. Touristenbusse, auf deren Außenwänden der Begriff „Nomade“ prangt, sowie Wohnmobile namens „Zigeuner“, „Liberté“ und „Gitan“ schieben sich durchs Ortszentrum.

In der Auslage des lokalen Tourismusbüros steht das gebastelte Modell eines Dorfs, in dem Roma und Nichtroma sich eines friedlichen Zusammenlebens erfreuen. Im örtlichen Museum steht geschrieben: „Ihre Gegenwart in Saintes-Maries, der Hauptstadt der Zigeuner, taucht unser Land von jeher in einen geheimnisvollen Schleier und verzaubert uns durch Reiz und Poesie.“ Touristenbroschüren verkünden, Roma hätten immer schon an der Wallfahrt teilgenommen, seien den Traditionen ihrer Vorfahren bis heute treu geblieben und fühlen sich in Saintes-Maries wie zu Hause.

Doch der Schein trügt. Das angeblich so traditionelle „Zigeunerdorf“ ist nicht so traditionell, wie Touristenbroschüren versprechen. In einem Versuch, das Städtchen Anfang des 20. Jahrhunderts mithilfe des Tourismus ökonomisch zu entwickeln, wurde eine herkömmliche Wallfahrt bewusst assoziiert mit „Zigeunern“ und den dazugehörigen Ideen von Mystik, Freiheit und Folklore. Der Erfolg trat rasch ein: Aus einer gewöhnlichen Wallfahrt wurde ein außergewöhnliches Ereignis und somit eine wirkungsvolle Touristenattraktion. Saintes-Maries wurde weltweit berühmt als „Zigeunerdorf“ und lebt nunmehr zur Gänze vom Tourismus.

Es herrscht Spannung im „Zigeunerdorf“. Ein paar Tage vor Beginn der jährlichen Wallfahrt versichert mir eine ortsansässige Verkäuferin, sie könne mir mit zwei Worten sagen, was sie über Roma denkt: „Zum Umbringen!“ Sie ist der Ansicht, Roma kämen nur, um ihren „diebischen Tendenzen und Aggressionen“ freien Lauf zu lassen. Ein Polizist rät mir, während der Festivitäten meinen Campingbus außerhalb des Dorfs zu parken, damit er nicht von „Zigeunern“ ausgeräumt oder gestohlen würde. Ein ortsansässiges Ehepaar empfiehlt mir, ab acht Uhr abends keinen Fuß mehr auf die Straße zu setzen, andernfalls riskierte ich, von so genannten Störenfrieden beraubt oder gar vergewaltigt zu werden.

Viele Dorfeinwohner ziehen es vor, sich während der Festivitäten hinter ihren eigenen vier Wänden zu verschanzen, um ihr Hab und Gut zu bewachen: „Selbst wenn wir wollten, könnten wir das Haus nicht verlassen“, erklärt ein Einheimischer, „sonst kämen wir zurück, und es wäre leer.“ Außerdem steht gemäß der lokalen Presse Saintes-Maries zu Zeiten des Festes auf der roten Liste jener Plätze, die es zu vermeiden gilt – aus Sicherheitsgründen, versteht sich.

Dann folgt das große Warten auf den Sturm. Geschäfte, Bars und Restaurants werden bereits eine Woche vor Beginn des Festivals zugesperrt oder mit Metallabsperrungen versehen, aus Angst vor den „Zigeunern“. „Reserviert“-Kärtchen auf Restauranttischen schaffen die Möglichkeit, sich die Gäste nach dem Kriterium „Zigeuner oder Nichtzigeuner“ aussuchen zu können. „Ich weiß, das ist illegal, aber so habe ich meine Ruhe“, erklärte ein Restaurantbesitzer überzeugt. Sicherheitskräfte werden mitsamt Wachhunden in jenen Geschäften stationiert, die es wagen, ihre Läden trotz der drohenden Gefahr nicht zuzusperren. Riesengroße Steinklötze vor Einfahrten sollen verhindern, dass die „Eindringlinge“ fremdes Territorium besetzen. Das Schild „Platz der Zigeuner“, das bis vor ein paar Jahren noch die Mauer des Rathauses zierte, wurde entfernt. Roma haben nicht mehr das Recht, am Dorfplatz ihr Lager aufzuschlagen. An anderen Stellen hingegen ist während der Feierlichkeiten ansonsten teuer bezahltes Parken plötzlich gratis: Muss man doch befürchten, von wütenden „Zigeunern“ Ohrfeigen zu beziehen. Andere Parkplätze sind streng getrennt: Hier „Zigeuner“ – dort Touristen.

Die Atmosphäre ist gespannt. Anstatt in romantischen Pferdekutschen einzureiten, wie die Touristenbroschüre verspricht, rollen Roma in modernsten Fahrzeugen an, ausgestattet mit Satellitenschüsseln, Fotoapparaten und Videokameras. „Wir gehen mit der Zeit,“ versichert mir stolz ein angekommener Rom. Er bevorzugt es, sich zum feierlichen Anlass einen Mercedes auszuleihen, um sich nicht mit seinem „mickrigen Opel lächerlich zu machen“. Touristen trudeln ein. „Zigeuner“, die Frauen in fantastischen Kleidern, erscheinen auf Pferdewagen. Und mit ihnen kommt die Polizei in Bussen.

In der Zeitung steht: „Alles ist bereits vor Ort: „Polizeistreifen, eine 68-köpfige Gendarmerie-Truppe zur Verstärkung, Torpedo-Schnellboote zur Überwachung der Küste und ein Helikopter“, um – laut Polizei – „Zigeunern Angst und Schrecken einzujagen“.

Zur allgemeinen Verwunderung – oder fast schon Enttäuschung – kommt es jedoch während des Festivals zu keinen Vorkommnissen, die sich nicht auch bei anderen Großveranstaltungen zutragen. Das Dorf hat sich in einen Markt verwandelt, auf dem Roma alles verkaufen, was das Herz begehrt – von Technomusik bis zur Rüschenunterhose. Touristenmassen genießen das bunte Treiben. Der Höhepunkt der Veranstaltung: die Prozession der Statue von Sarah, der Schutzpatronin der Roma, verläuft ruhig, abgesehen vom Lärm des Polizeihubschraubers, der über der singenden Menschenmasse kreist.

„Sie behandeln uns hier wie Kriminelle und werfen uns alle in einen Sack“, beklagt sich eine spanische Romni über das übertriebene Polizeiaufgebot, „ihren Ruhm haben sie allerdings uns zu verdanken!“ – „Wenn sie so weitermachen, zerstören wir all ihre Bücher und Postkarten von uns, nehmen die Statue von Sarahund feiern woanders“, droht ein junger Rom empört.

Es ist 1.30 Uhr nachts. Eine Gruppe spanischer Roma feiert und musiziert. Plötzlich stürmen Gendarmerie-Wachbeamte die Bar und beenden das fröhliche Fest mit Faustschlägen und Tränengas. Laut Gendarmerie waren die Betroffenen nicht bereit, dem „Lärm“ ein Ende zu setzen und ihnen zu folgen. Niemand wird verletzt, doch der Schock ist groß. Selbst die Anwesenheit von Kindern kann die Gendarmen nicht davon abhalten, von Tränengas Gebrauch zu machen. „Bei anderen traditionellen Festivals wird bis 4 Uhr früh gefeiert“, beschwert sich ein Augenzeuge, „niemand würde Fiestas so beenden!“

Die Wallfahrt ist inzwischen ausgesprochen ruhig. Es ist nicht nur ruhig, sondern fast schon totruhig und darum traurig. Es wird nicht überall musiziert und getanzt, wie in Touristenbroschüren immer zu lesen ist. Mit Erfolg hat man die Roma aus dem Dorfzentrum verdrängt. Nun bevorzugen sie es, die Abende unter sich zu verbringen und in ihren Camps zu feiern, während im Zentrum Stille herrscht und nur die Sicherheitskräfte in Sechsergruppen ihre Runden drehen.

Zu guter Letzt werden Roma am Tag nach den Festivitäten aus dem Dorf gejagt. Unter ihnen befindet sich auch ein holländischer Weltenbummler, der aufgrund seines traditionellen Pferdewagens fälschlicherweise für einen Rom gehalten wurde. Ein Foto seiner romantischen Kutsche wird allerdings als „typischer Zigeunerwagen“ auf der lokalen Internetseite präsentiert – um Touristen anzulocken.