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Archiv-Artikel

Harnstoff macht neue Dieselautos stubenrein

ENTWICKLUNG Um künftige Abgasnormen wie Euro 6 erfüllen zu können, setzen viele Automobilhersteller auf den SCR-Kat. Er soll die schädlichen Stickoxide des Abgases in Wasser und harmlosen Stickstoff umwandeln

VON CLAUDIA BORCHARD-TUCH

Vorbei die Zeiten mit flächendeckenden Fahrverboten für Dieselstinker. „Über Europa und den USA ist die Luft merklich sauberer geworden“, erklärt Andreas Hilbol vom Institut für Umweltphysik an der Universität Bremen. Sein Steckenpferd sind die Stickoxide (NOx). Die für Mensch und Natur schädlichen Gase werden vor allem aus Dieselmotoren hinausgepustet, wobei sich die günstigen Spardiesel besonders hervortun. Stickoxide zählen zu den Hauptursachen für sauren Regen und Ozon.

Eine moderne Technik soll dazu beitragen, die Luft noch reiner zu halten – die sogenannte Selective-Catalytic-Reduction-Technik (SCR). Sie hat sich bereits seit mehreren Jahren in Kraftwerken bewährt. Das Prinzip ist so einfach wie genial: Harnstoff im Abgas hält die Stickoxidemission niedrig.

Zurzeit trägt der Straßenverkehr die Hauptschuld an der Umweltbelastung durch Stickoxide. Doch die neuen Abgasvorschriften der Euro-6-Norm sind streng. Ab 2014 gelten für Diesel 80 Milligramm Stickoxid je Kilometer als Höchstwert – zurzeit dürfen es 180 Milligramm sein.

Wegen dieser Verschärfung beim Stickoxidgrenzwert kommt der Dieselmotor um eine NOx-mindernde Abgasnachbehandlung nicht herum. Denn im Gegensatz zum Kohlendioxid lassen sich Stickoxide nicht durch eine sparsamere Verbrennung verringern – im Gegenteil: Bei treibstoffarmer Verbrennung kommt noch mehr Stickoxid aus dem Auspuff hinaus. Warum also nicht zum Einsatz bringen, was schon in Kraftwerken funktioniert, und eine Harnstofflösung dem heißen Abgas eines Dieselmotors beimischen? Bei mehreren Autoherstellern wie Audi, BMW, Mercedes und VW gibt es bereits SCR-Katalysatoren.

In den meisten dieser Autos liegt der SCR-Katalysator hinter dem auch in älteren Modellen bereits vorhandenen Oxidationskatalysator mit Rußfilter. Der Filter hält die Rußpartikel zurück, und der Oxidationskatalysator wandelt die größte Menge – etwa 80 Prozent – der nur teilweise verbrannten Kohlenwasserstoffe in Wasserdampf und Kohlendioxid um: Aus giftigem Kohlenmonoxid wird Kohlendioxid. Die Schwierigkeit: Der Oxidationskatalysator kann keine Stickoxide umwandeln.

Hierfür ist der SCR-Katalysator zuständig. Am SCR-Kat wandelt genau genommen nicht der Harnstoff die Stickoxide in unschädlichen Stickstoff um, sondern dessen Abbauprodukt Ammoniak (chemische Formel: NH3). Beim Auto ist es jedoch nicht möglich, Ammoniak direkt einzusetzen. Ammoniak ist ein stechend riechendes Gas, das unter anderem auf Kuhmist entsteht. Es ist aggressiv und gesundheitsgefährdend. Sein Einsatz im Straßenverkehr würde nach Mitteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ein umfangreiches Kontrollsystem erforderlich machen. Umweltschutz, Arbeitsschutz und Verkehrssicherheit wären gleichermaßen betroffen. Daher wird anstelle von Ammoniak eine wässrige Harnstofflösung in den Abgasstrom eingespritzt, die Ammoniak erst bei hohen Temperaturen freisetzt. SCR-Autos führen diese Harnstofflösung in einem separaten Tank mit. Da die Lösung korrosiv ist, müssen die Behälter aus beständigen Materialien bestehen.

Inzwischen werden auch kritische Stimmen zum bislang hochgelobten SCR-Kat laut. „Der Katalysator ist keine heilige Kuh“, stellt Jan-Peter Frahm von der kanadischen Universität von Alberta fest. „Zu wenige trauen sich bislang, die Katalysatoreffekte infrage zu stellen.“ So wandeln SCR-Katalysatoren Stickoxide erst bei Temperaturen oberhalb von 300 Grad Celsius effektiv um. Da Pkw-Dieselmotoren immer wirkungsvoller arbeiten, sinkt auch ihre Abgastemperatur. Dies wiederum verringert die Umwandlung der Stickoxide.

Katalysatoren, die Vanadiumoxid enthalten, sind da schon besser. Sie setzen Stickoxide auch bei niedrigeren Temperaturen prima um. Das Problem: Bei hohen Temperaturen, die in den Motoren durchaus erreicht werden können, wird toxisches Vanadium in die Luft geblasen. Aus diesem Grund haben die USA diesen Katalysatortyp bereits verboten.

Es wird fleißig nachgebessert – erkennbar anhand der zahlreichen Patente aus jüngster Zeit. Ein eisenhaltiger Katalysator, der kein gefährliches Vanadiumoxid enthält, soll beispielsweise eine wirkungsvolle Umwandlung auch bei niedrigeren Temperaturen möglich machen. Denn die Euro-6-Norm zwingt die Hersteller zum Handeln. Die meisten sind überzeugt: Der SCR-Kat wird kommen.