: Der Rest ist Geschmackssache
Beim Käse hat der Norden die Nase vorn, wie die älteste deutsche Käsestraße in Schleswig-Holstein zeigt. Die Geschmacksnoten sind mitunter recht kräftig. Eine Laudatio anlässlich der Verleihung des „Norddeutschen Käsepreises“ auf dem Kiekeberg südlich von Hamburg
Von Henning Bleyl
Deutschland ist dreigeteilt: Der Westen gilt als Goudazone, im Süden isst man Emmentaler. Der Osten ist Käsediaspora und der Norden die Hochburg des Tilsiter.
Vor allem aber ist der Norden die einzige Region, in der ein Käsepreis verliehen wird. Undotiert zwar, aber von Niedersachsens Landwirtschaftminister Heiner Ehlen persönlich übergeben. Obwohl der von Haus aus Schweinezüchter ist.
Diesen außergewöhnlichen Award haben jetzt Ulrike Fehling und Detlef Möllgaard im Freilichtmuseum auf dem Kiekeberg erhalten, einer Zentrale der deutschen Käsekultur. Milchingenieur Möllgaard bekam die Auszeichnung für seine Verdienste um die Schleswig-Holsteinische Käsestraße, die auf 500 Kilometern fast 40 Hofkäsereien miteinander verbindet. Wohlgemerkt: Es ist dies die erste derartige Route in Deutschland. Das Allgäu und Nordrhein-Westfalen haben erst vor kurzem die verkehrsplanerische Relevanz ihrer Milchprodukte erkannt.
Der Norden als Käseland kann immerhin auf 120 registrierte regionale Sorten verweisen. Einige davon stammen von Preisträgerin Ulrike Fehling, die als autodidaktische Käserin auf dem 30 Kühe-Hof ihrer Eltern mit der Produktion von schlichtem Gouda begann. Dann aber verließ sie die „Schnittkäse-Linie“, wie es Laudator Burchard Bösche von der mitveranstaltenden Hamburger „Slow Food“-Gruppe ausdrückte.
Ulrike Fehling wagte sich ins „schwierige Geschäft der Weichkäse-Produktion“ und kreierte unter anderem einen handgeschöpften Camembert mit Basilikum-Einlage. „Der ist schön lind im Mund“, lobt Minister Ehlen, in dessen stattlichem Körper eine offenbar sensible Zunge ruht. Auch die Produktpalette von Milchingenieur Möllgaard hat Ehlen verkostet. „Der hat da Granaten drin“, formuliert der Minister im Anschluss an den offiziellen Teil, „da tränen einem die Augen.“
Keine Frage: Möllgaard, intern auch als „schleswig-holsteinischer Käsepapst“ tituliert, ist ein Mann des kräftigen Geschmacks. „Er zeigte dem staunenden Publikum“, so Laudator Bösche, „welch wunderbarer Käse ein Fresendamer sein kann, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum zwei Jahre abgelaufen ist.“ Man müsse nur entsprechend weniger davon essen. Käse dürfe ohnehin nicht nach Gramm, sondern nach Geschmackseinheiten bewertet werden, lautet das in der Käseszene gern zitierte Möllgaard‘sche Credo.
Seinen „Oole Pellwormer“ bewahrt Möllgaard in einem stillgelegten Munitionslager auf, anschließend ein weiteres Jahr auf dem heimischen Hof. Alle Lagerorte hinterlassen ihre spezifischen Geschmacksspuren, da sind sich die Kenner sicher. „Man kann wie beim Wein die Herkunft schmecken“, sagt etwa der Slow Fooder Olaf Ehrigsen.
Jede Region, jede Landschaft, jeder Hof habe eine eigene Note – die durch gezielte „Affinage“ bereichert wird. Der „Biikesäis“ etwa wird 24 Stunden lang mit kaltem Rauch von Buchenholzspänen traktiert, und was beim Dannwischer wie Edelschimmel aussieht, ist in Wirklichkeit Holzasche. Maritim orientierte Käser setzen verbrannte Algen zu.
In jedem Fall dürfen die Produkte der Hofkäsereien statt in Folie schön in Kellern reifen, wo sie immer wieder liebevoll gebürstet, gewaschen und gewendet werden. „Die Käser sind die Winzer des Nordens“, findet Slow Fooder Ehrigsen.
Höchste Zeit also für eine kulinarische Rehabilitation. Zumal der norddeutsche Käse ein Nazi-Opfer ist. Die Nazis nämlich führten den Milchablieferungszwang an die Genossenschaftsmeiereien ein und verboten – trotz kräftiger Proteste – die Hofproduktion. Ein maximierter Tilsiter-Ausstoß galt als kriegswichtig, um die „Fettlücke“ zu verhindern, die im Ersten Weltkrieg die Heimatfront schwächte.
Angesichts solcher martialischer Dimensionen wirken die heutigen Käsekämpfe bescheiden. Mit Flugblättern machen schleswig-holsteinische Hofläden gegen die Unsitte der „typisch deutschen Käsescheiben“ Front, dieses „Machwerk“, hinter dem bloß die Schneidemaschinenhersteller steckten. Käsescheiben seien ein Anschlag auf Geschmack und Haltbarkeit.
Die norddeutschen Käser sind eben ein streitbares Völkchen. Einmal im Jahr trifft sich die Szene zum Käsemarkt auf dem Kiekeberg, südlich von Hamburg in der Nordheide gelegen, und heckt neue Kampagnen aus. Zum Beispiel die Reihe der „nordfriesischen Bergkäse“. Wer sich wundert, wird auf die zahlreich in der Gegend herumstehenden Achttausender verwiesen – die Deiche in Millimeter gemessen. Schon Theodor Storm hat den Käse in seinen Novellen als „Stein der Weisen“ besungen. Laudator Bösche nennt ihn etwas zeitgemäßer „das Leitprodukt des Nordens“, Minister Ehlen „die höchste Veredelung von Milch“. Der Rest ist Geschmackssache.