: Dreckige Füße
Weil Generaldirektor „Lucky Luciano“ Moggi die Serie A im Stile einesPaten führte, droht Juventus Turin nun möglicherweise der Zwangsabstieg
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Eigentlich geht das nicht zusammen: italienischer Fußballmeister und zugleich Abstiegskandidat. Doch Juventus Turin ist das Unmögliche gelungen. Gestern Nachmittag hat der Verein am letzten Spieltag der Serie A in Bari mit einem 2:0-Sieg gegen Reggina Calcio alles klargemacht und den Titel verteidigt. Einen Titel allerdings, der dem Team womöglich schon bald aberkannt wird. Schlimmer noch: Juve droht die Strafversetzung in Liga zwei.
Über Jahre hinweg soll der Verein seine sportlichen Erfolge nicht bloß mit dem spielerischen Können erreicht haben. Mindestens ebenso wichtig – davon ist die Staatsanwaltschaft in Neapel überzeugt – war das von Juve-Generaldirektor Luciano Moggi aufgebaute kriminelle Netzwerk, das die systematische Manipulation vieler Spiele ermöglichte. „Lucky Luciano“ darf Moggi sich in Anspielung auf einen alten Mafia-Boss nennen lassen, und der Skandal, der über den italienischen Fußball hereingebrochen ist, wird gern mit den großen politischen Korruptionsaffären Anfang der Neunzigerjahre verglichen. Damals war die Rede von „mani pulite“, von den „sauberen Händen“ – und jetzt geht es eben um „piedi puliti“, um „saubere Füße“.
Der zusammen mit 40 anderen Personen wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung und Sportbetrugs verdächtige Moggi soll, so die Staatsanwälte, ein Netz aus willigen Verbandsfunktionären und Schiedsrichtern aufgebaut haben. Die Funktionäre sorgten dafür, dass die „richtigen“ Schiedsrichter zum Zuge kamen. Und die Pfeifenmänner verschoben Spiele und Meisterschaften. Mal ging die Abseitsfahne ohne jeden Grund hoch, wenn Juve ein Tor kassierte, mal blieb die Fahne unten, wenn ein Turiner Stürmer aus Abseits erfolgreich war. Besonders raffiniert war das System der gelben Karten: Musste Juve am nächsten Sonntag bei Chievo antreten, so sorgte ein williger Schiedsrichter in der Vorwoche mit reichlich Gelb gegen Chievo dafür, dass in dem Spiel gegen Juve die wichtigsten Chievo-Spieler wegen Sperre aussetzen mussten.
Doch nicht allein Juventus soll vom „System Moggi“ profitiert haben. Auch die Vereine Lazio Rom, AC Mailand und Florenz werden als Begünstigte genannt. Vielleicht war Florenz aber auch bloß Erpressungsopfer Moggis. Der war in seinen Methoden alles andere als zimperlich. In den Jahren 2004/2005 suchte er zum Beispiel die Wahl seiner Favoriten Carraro zum Fußballverbandspräsidenten und Galliani zum Liga-Chef durchzusetzen. Der Florenz-Boss Diego Della Valle verweigerte sich – und Florenz wurde systematisch in die Abstiegszone gepfiffen. Dann knickte Della Valle ein – und wie durch ein Wunder gelang Florenz die Rettung vorm Abstieg.
So lief es: Einen Schiedsrichter, der nicht „zufrieden stellend“ gepfiffen hatte, sperrte Moggi nach der Partie in der Kabine ein; deshalb muss er sich jetzt auch wegen Freiheitsberaubung verantworten. Und als der Trainer Zdenek Zeman die Doping-Praktiken bei Juve ansprach, erklärte Moggi am Telefon, Zeman habe „eine Abreibung“ verdient. Erlauben konnte Moggi sich diesen Ton, weil auch ein Großteil der Vereine ihm hörig war. Schließlich kontrolliert der Pate die Spieleragentur GEA, die es zum Quasi-Monopolisten auf dem Transfermarkt gebracht hat. Die GEA soll sich die Spieler mit massiven Drohungen gefügig gemacht haben.
Die Ermittlungen gehen weiter; ein Opfer steht bereits fest. Massimo De Santis, für die WM ausersehener Schiedsrichter und wohl ein besonders zuverlässiger „Mitarbeiter“ Moggis, wurde durch den Verband, zusammen mit zwei Linienrichtern, vom Turnier abgemeldet. Zu Hause bleiben muss womöglich auch Torhüter Gianluigi Buffon. In einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Parma wird er verdächtigt, über Internet illegal Sportwetten getätigt zu haben. Unabsehbare Konsequenzen drohen dagegen Juventus: Zwangsabstieg, Kündigung der Fernsehrechte – und dann die unabwendbare Pleite.