die taz vor 19 jahren über barbies auszug aus dem gerichtssaal
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Bevor der Prozeß in Lyon eröffnet wurde, äußerten viele die Befürchtung, Klaus Barbie werde vor Gericht weiterfoltern. Sein Anwalt Jacques Verges hatte damit gedroht, daß der Angeklagte Enthüllungen vorzutragen habe, die den klagenden ehemaligen Widerstandskämpfern wehtun könnten.

Es war zu erwarten, daß der Schlächter von Lyon mit dem, was er sagt, in den Prozeß eingreift, daß er sich vom Angeklagten in den Ankläger verwandelt, mit Worten den französischen Staat attackiert und im schlimmsten Fall auch noch seine Opfer beschimpft. Niemand hat damit gerechnet, daß Klaus Barbie durch Nichtssagen den Charakter des Prozesses gegen ihn zu verändern vermag.

Ohne den Angeklagten Klaus Barbie in der Box des Angeklagten ist für die bilderfressenden Medien die Attraktion verlorengegangen. Der Verteidiger allein kann die Rolle des advocatus diaboli weniger virtuos ausspielen, wenn der diabolus nicht hinter ihm sitzt.

Daß mit dem Auszug des Schlächters von Lyon aus dem Spektakel im Gerichtsaal die Luft raus ist, muß man nicht unbedingt bedauern. Der Fetisch Öffentlichkeit hat mehr als genug in der Regie des Prozesses mitgewirkt. Nur werden die Opfer dabei vergessen, wie lautstark sich ihre Anwälte auch zu Wort melden.

Mehr als 40 Jahre haben sie warten müssen, ehe der Zeitpunkt gekommen war, an dem sie ihrem Peiniger gegenübertreten und die quälende Erinnerung in die Anklage verwandeln können. Ohne Barbie werden sie wieder zu Opfern, um die Hoffnung betrogen, wenigstens einmal aus der Opferrolle heraustreten zu können, nicht nur auf Mitgefühl zu stoßen, sondern auch auf Gerechtigkeit.

Mit seinem Verschwinden kann Barbie einen Urteilsspruch nicht verhindern. Aber kein Urteil wird den Zustand wiederherstellen, der die Kläger darauf hoffen ließ, ihren Schmerz dem Urheber ins Gesicht schreien zu können. Lothar Baier, 15. 5. 1987