: Die Familie als Kunstobjekt
Eine der besten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts: Louise Bourgeois in der Bielefelder Kunsthalle
von PETER ORTMANN
Stoffkugeln, rotes Licht, makabre Leichenteile aus Latex, alle auf und um eine Tafel drapiert, wie auf einer kleinen Bühne mit schwarzem Tuch umhüllt. Die Künstlerin Louise Bourgeois dekonstruierte 1974 ihren Vater sehr konsequent. Der war ein Tyrann, etablierte offen seine Geliebte als Hauslehrerin, am Familien-Tisch wagte niemand auch nur ein Wort zu sagen. „Viele meiner Werke handeln von der Zerstörung des Vaters“, sagt die heute 95-jährige Louise leise in einem Interview.
Die Kunsthalle in Bielefeld präsentiert unter dem Titel „La famille“ eine thematische Retrospektive der 1911 in Paris geborenen Künstlerin, die seit 1938 in New York lebt. Auf zwei Etagen finden sich angenehm ruhig installiert, zwanzig Gemälde, mehr als 60 Zeichnungen und 35 Skulpturen – keine der bekannten Körperflüssigkeiten in Glaskugeln. Und das riesige Spinnenpaar (Spider Couple, 2003) aus Bronze überwacht den Eingang in die heilige Halle.
Die Reise durch die Welt von Louise Bourgeois beginnt 1936, zwei Jahre bevor sie nach dem Bildhauerstudium an der Ecole des Beaux Arts als Ehefrau des Kunsthistorikers Robert Goldwater in die Vereinigten Staaten zog. Zu sehen sind frühe Zeichnungen und ihre ersten schmalen Skulpturen aus Holz und Bronze, die bereits ihre familiären Bindungen thematisierten. Sie behandeln in den 1940ern noch die Gefühle für ihren Bruder Pierre, der sehr unter seinem Vater leiden musste, aber auch bereits ihr eigenes Kind Jean-Louis, den sie als ein kleines weißes Haus darstellte.
Ihr Leben lang beschäftigte sie sich mit allen verfügbaren Material mit der Angst. Sie hatte Furcht, als Hausfrau und Künstlerin zu versagen, also arbeitet sie Häuser in ihre Skulpturen (Femme Maison, 2005), sie hatte Angst um ihre Kinder, also baut sie einen Schrein für das erst spät geborene (The reticent child, 2003). Ihre Arbeiten haben oft fünf Teile. So ist ihre Familie immer präsent: Drei Kinder und der Ehemann, den sie 1969 als phallisches Portrait in Bronze goss und weiß bemalte. Das habe ihm gefallen. Ich weiß nicht, ob es mir gefallen hat, erklärte sie zum Werk. Im zweiten Stock stehen ihre Zellen (1998-2001), mit persönlichen Erinnerungen arrangierte Installationen in Stahlkäfigen, die verschiedene Arten von Schmerz zeigen.
In der Kunsthalle arbeitet nicht mit Audioguides, sondern mit einem von der Museumspädagogin Christiane Heuwinkel und einem Kameramann extra produzierten Video. In nur 20 überaus informativen Minuten erhält der Besucher genau die Details und Hintergründe, die er zum selbstständigen Durchlaufen der Werke braucht. „Wir halten das so bei jeder Ausstellung“, sagt Öffentlichkeitsarbeiterin Heuwinkel. Die Leute sollen eben sehen, nicht hören. 22.000 Besucher hatte die Bourgeois-Retro in Bielefeld bisher. Vielleicht viel für eine Stadt, aber kläglich wenig für ein Bundesland, das sich mit seiner Kulturpolitik brüstet. Nur als Vergleich: 15.000 Besucher sahen in Essen Caspar David Friedrich im Museum Folkwang – in einer Woche. Kein Rückschluss auf die Qualität der Ausstellungen, nur ein weiteres Indiz für die Macht falsch lancierter Kultur-Werbung in NRW.
Bis 5. Juni 2006