piwik no script img

Archiv-Artikel

Ja, ich glaube an den Dialog

BÜHNE Das Stück „Gift“ von der Niederländerin Lot Vekemans feiert am Deutschen Theater Premiere – es lehnt sich nicht an aktuelle Diskurse oder Liebestheorien an, ist aber trotzdem oder gerade deshalb sehenswert

Das Stück funktioniert als zeitgemäße Variante von „Szenen einer Ehe“

VON RENÉ HAMANN

Nackt. Ein niederländisches Zweifigurenstück, in dem ein Paar sich zehn Jahre nach ihrer Trennung in einer schmucklosen Wartehalle eines provinziellen Friedhofs wiedersieht, um gemeinsam das Problem einer Umbettung ihres Sohns zu besprechen. Zwei Figuren, ein Raum. Ein Kaffeeautomat, ein Wasserspender, zwei Sitzreihen. Drei Akte, unterbrochen durch kurze Abblenden, ein Moment Schwärze, dann springt das Bühnenlicht, das sich kaum vom Arbeitslicht unterscheidet, wieder an.

Das Deutsche Theater versucht schon seit Längerem, einen dritten Weg zwischen Regietheater und konservativem Abspielen des üblichen Repertoires zu finden, und sucht sein Glück gern im naheliegenden Ausland. Nach „Wastwater“ aus England ist es nun das Stück „Gift“ der Niederländerin Lot Vekemans, das vier Jahre nach Uraufführung in der guten Übersetzung von Eva Pieper und unter der Regie von Christian Schwochow (den man von Film und Fernsehen kennt, besonders vom Vergangenheitsbewältigungsfilm „Der Turm“) hier am Samstag Premiere feierte. Ein schlicht daherkommendes Stück, das den Fokus auf den Dialog legt. „Ja, ich glaube an den Dialog“, sagte denn auch Vekemans im Vorfeld.

Das Paar, verkörpert von Dagmar Manzel und Ulrich Matthes, versucht sich erst zurecht-, dann wiederzufinden. Die Trauer um den verlorenen, bei einem Unfall tödlich verunglückten Sohn Jakob könnte sie vereinen. Aber so ist es nicht. Vielmehr haben beide schnell einen eigenen Umgang mit der Trauer gefunden – oder vielmehr, gefunden hat diesen Umgang eigentlich nur er. Sie verharrte in der Trauer, unansprechbar, unerreichbar, bis er sie verlassen hat. Er hatte sich früh für das Weitermachen entschieden. Ein Weitermachen, das nicht Vergessen bedeutet, nicht Schmerzlosigkeit, aber ein Zurückfinden ins Leben.

Es gab einen entscheidenden Moment, erzählt er, einen Moment, wo er jemanden hat singen hören. Ein Stück von Leo Bernstein, „It must be so“, da wäre ihm klar geworden, dass es nur so ginge: das Leben anzunehmen, wie es ist, und weiter nichts. Es ginge nicht darum, jemals das Glück oder die Zufriedenheit wiederzufinden, die man einmal hatte, es ginge darum, eine neue Zufriedenheit zu finden. Eine, die keinen Vergleich mit früher braucht. Ihr ginge das anders, sagt sie, sie könne vielleicht teilnehmen, kommunizieren, die Zeitung lesen, arbeiten gehen, Alltag bewältigen – mehr aber nicht.

Das Tolle an diesem Dialogstück ist, dass es en passant nicht nur viele Wahrheiten ausspricht, sondern diese auch fühlbar werden lässt. Und das nicht nur durch die unbestreitbare Schauspielkunst der beiden Großdarsteller Manzel und Matthes, sondern vor allem durch den Text. Er ist simpel und doch tief, er ist oberflächlich und doch genau. Er biedert sich nicht an zeitgemäße Diskurse an, auch nicht, was Liebestheorien angeht, und ist doch so zeitlos wie aktuell.

Natürlich stimmt nicht alles an und in diesem Stück. Zwar weiß man nach einer Weile genau, dass hier beide ihre jeweilige Wahrheit haben, dass sie sich auch beide aneinander reiben, sich unterlaufen, gegenseitig provozieren und widersprechen, aber die jeweilige Wahrheit stimmt absolut. Die Wahrheit der Trauernden stimmt genauso wie die desjenigen, der die Trauer überwunden hat.

Was manchmal nicht stimmt, sind die dramatischen Effekte. Matthes beginnt an ein, zwei Stellen eher grundlos herumzubrüllen. Dann weiß man nicht, ob die beiden auf Godot warten oder auf den Friedhofsgärtner oder auf jemanden aus der Verwaltung oder ob das titelgebende Gift im Friedhofsboden von ihr bloß erfunden war, um endlich die Gelegenheit des Wiedersehens zu arrangieren.

Aber der Nacktheit der Inszenierung und damit dem fast schon Atheatralischen zum Trotz: Das Stück funktioniert. Das Stück funktioniert als zeitgemäße Variante von „Katze auf dem heißen Blechdach“ oder „Szenen einer Ehe“. Es kommt nur wesentlich leiser, salopper daher. Und ist in zehn bis zwanzig Jahren schon wieder Geschichte – wenn sich die hier grundlegende Form einer Paarkonstellation tatsächlich überlebt hat.

Denn das fragt man sich auch während des Stücks: Wann ist man ein Paar? Wenn es Tote gibt? Es wären noch viel mehr Überlegungen anzustellen, aber dafür fehlt der Platz. Aber es gibt ja eine Gelegenheit, das Stück selbst zu befragen – hinzugehen reicht.

■ „Gift“, Deutsches Theater, Schumannstraße 13, Mitte. Weitere Vorstellungen: 12., 14., 19. November, jeweils um 20 Uhr; 4. Dezember um 20 Uhr, 22. und 28. Dezember um 19.30 Uhr. Für alle Vorführungen gibt es nur noch Restkarten