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Archiv-Artikel

Wirr mit Methode

Politisch verortete er sich als „rot, grün und hellschwarz“, was ihn zum Außenseiter machte. Zum Tod des Wiener Publizisten Günther Nenning

AUS WIEN RALF LEONHARD

In der Nacht zu Montag ist Günther Nenning nach einem schweren Sturz vor seinen Schöpfer getreten. Mit dem hat sich der Religionswissenschaftler im vergangenen Jahrzehnt besonders eingehend befasst. Mit einschlägigen Zeitungskolumnen und Büchern wie „Gott ist verrückt. Die Zukunft der Religion“ oder „Buddha, Jesus und der Rest der Welt“ erstaunte der ehemalige Linksrebell Freund und Feind.

In „Gott ist verrückt“, einem Traktat über die von ihm entwickelte „Theologia sexualis“, ein eher wirklichkeitsfremdes sexualfreudiges Christentum, bekannte sich Nenning zur „Wirrheit als Methode“: „Das Wohlgeordnete ist bloßer Schein, die mir mögliche Wahrheit ist fragmentarisch.“ Damit stellte er sich einen Freibrief aus, Ungereimtheiten oder manchmal auch schlichten Unsinn zu schreiben. Der Mann, der sich politisch als „rot, grün und hellschwarz“ einordnete, war in Wirklichkeit bei keiner politischen Glaubensrichtung zu Hause. Das machte ihn für viele sympathisch, zwang ihm aber ein Außenseiterdasein auf, das er mit großer Eitelkeit kultivierte.

Den Zweiten Weltkrieg hat der 1921 in Wien Geborene noch als Soldat erlebt. Danach belegte er in Graz Sprachwissenschaften, Religionswissenschaften und schließlich auch Politologie. Journalismus lernte der Doppeldoktor und spätere taz-Autor beim Schriftsteller Friedrich Torberg, der das kulturpolitische Magazin Forum herausgab. Als Nenning es übernahm, machte er ein Neues Forum daraus, eine Publikation, die sich für den christlich-marxistischen Dialog und die Studentenrevolte von 1968 einsetzte. Mit der Veröffentlichung von Textstellen von Marquis de Sade rief er das Innenministerium auf den Plan. Der letzte Fall offener Zensur in Österreich scheiterte aber am Verfassungsgerichtshof. Nebenbei gründete Nenning den Österreichischen Journalisten Club und die Jugendzeitschrift Neue Freie Presse, eine „unabhängige Zeitung für Abhängige“, mit der man sich in der Schule besser nicht erwischen ließ. Zum Einstand ließ er sich samt seinem Redaktionsteam nackt ablichten, was ebenfalls provozierte. Im ORF moderierte Nenning einige Jahre die legendäre Diskussionssendung „Club 2“.

Politisch legte sich der ursprünglich überzeugte Linkssozialdemokrat mit der SPÖ an. Nach Protesten gegen ein geplantes Atom- und ein Donaukraftwerk sowie der Besetzung der Hainburger Au wurde er aus der Partei ausgeschlossen, später auch aus dem Gewerkschaftsbund, obwohl er 25 Jahre lang die Journalistengewerkschaft geleitet hatte. Hainburg war die Geburtsstunde der Grünen, denen sich Nenning verbunden fühlte.

In den letzten Jahren fiel Nenning vor allem durch seine Schrulligkeit auf. Aus dem enfant terrible wurde ein Hanswurst, der fast nur noch für das Boulevardblatt Kronen Zeitung schrieb, das er ein halbes Leben lang bekämpft hatte. Zuletzt ließ er sich von der Bundesregierung für die Herausgabe einer Sammlung zeitgenössischer österreichischer Literatur einspannen, mit der viele der Autoren nichts zu tun haben wollten. So lebte Nenning bis zuletzt getreu seinem Grundsatz: „Nur ein Esel ändert seine Meinung nie.“