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Archiv-Artikel

Sinn und Unsinn

ORTSTERMIN Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn wittert hinter dem Euro-Rettungsschirm ein perfides Komplott gegen die Bundesregierung: „Deutschland ist überfahren worden“

Sinn hat sich noch nie daran gestört, mit seinen Thesen im Abseits zu stehen. Auch diesmal ist er völlig allein

AUS BERLIN ULRIKE HERRMANN

Schon der Einstieg ist angemessen dramatisch. „Das Ifo-Institut will seine Stimme erheben“, verkündet der Direktor des Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn. Niemand solle hinterher sagen können, das Ifo-Institut hätte nicht gewarnt.

Und tatsächlich: Es dauert nur ungefähr drei Charts, dann präsentiert Sinn auch schon eine ganz eigene Verschwörungstheorie: „Deutschland wurde über den Tisch gezogen.“

Das perfide Komplott soll sich vor zwei Wochen in Brüssel ereignet haben, als in einer hektischen Sonntagnacht der Rettungsschirm für die Euroländer beschlossen wurde, bei dem die Bundesrepublik nun mit maximal 147 Milliarden Euro bürgen soll.

Zu diesem Treffen der Finanzminister hatte ein Ifo-Chef zwar keinen Zugang, aber Sinn weiß trotzdem genau, was sich dort abgespielt hat: Schon lange hätten „die Pläne in der Schublade gelegen“ und seien dann durchgedrückt worden, „als der deutsche Finanzminister im Krankenhaus lag“.

Die anwesenden Journalisten sind erstaunt. Selbst Schäuble-Fans hätten nicht angenommen, dass der deutsche Finanzminister so wichtig ist. Schließlich war sein Staatssekretär vor Ort, ebenso Innenminister Thomas de Maizière – und auch mit der Kanzlerin wurde in besagter Sonntagnacht mehrmals telefoniert.

Doch Sinn ist schon längst weiter mit seinen Erläuterungen: An dem Rettungsschirm hätten eigentlich nur die Franzosen ein Interesse, weil ihre Banken griechische Staatsanleihen in Höhe von 52 Milliarden Euro hielten – während deutsche Banken nur mit 31 Milliarden Euro beteiligt seien: „Deutschland ist überfahren worden.“

Der Trick: Man habe den Deutschen einfach eingeredet, der Euro sei in Gefahr. Das kann eine französische Journalistin gar nicht nachvollziehen: Die französische Finanzministerin Christine Lagarde würde doch genau Sinns Position vertreten, dass der Euro nicht bedroht sei: „Wieso glauben Sie an ein Komplott?“ Sinn sieht ein wenig ratlos aus, zögert und sagt dann einfach – „Ja“.

Sinn hat sich noch nie daran gestört, mit seinen Thesen im Abseits zu stehen. Auch diesmal ist er wieder völlig allein mit seiner Deutung. Erst am Mittwoch haben Bundesbank-Chef Axel Weber und Bafin-Boss Jochen Sanio im Haushaltsausschuss erläutert, warum der Bundestag dringend dem Rettungsschirm zustimmen muss. Die Finanzmärkte würden sonst völlig austrocknen. Dagegen sei die Lehman-Pleite „nur ein laues Lüftchen“ gewesen.

„Sind Weber und Sanio dümmer als Sie?“, will eine Journalistin daher wissen. Diese Frage lässt Sinn diplomatisch an sich abgleiten: Die beiden würden „ein Werturteil abgeben“.

Überhaupt kann Sinn nicht nachvollziehen, warum die Börsen unbedingt funktionieren müssen. „Notfalls hätte man den Handel für einige Tage aussetzen können.“ Und knipst sein breites Lächeln an, das er genauso schnell wieder abschaltet.

Sinn lächelt nämlich periodisch, ungefähr nach jedem zehnten Satz. Dieses Lächeln ist meist so wenig motiviert wie ein Sprung in der DAX-Kurve. Irgendein Coach muss ihm einmal gesteckt haben, dass Journalisten mimische Abwechslung schätzen.

Sinn findet jedenfalls, dass man europäische Defizitsünder wie Spanien ruhig bestrafen kann, indem sie für ihre Schulden hohe Zinsen zahlen müssen. Die spanischen Journalisten im Publikum wundern sich. Sie erinnern sich noch gut daran, dass der Ifo-Chef die Spanier früher stets als europäische „Musterschüler“ gelobt und ihre Inflation als unwichtig deklariert hat.

Nach 35 Minuten muss Sinn sich „leider“ verabschieden. Die Kanzlerin ruft. Er ist zu ihrer internationalen Finanzmarktkonferenz geladen. Kaum dass er entschwunden ist, fragen die ausländischen Korrespondenten konsterniert: „Ist Sinn wirklich wichtig in Deutschland?“