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Archiv-Artikel

Rentnerin auf Reisen

AUSLAND Die 69 Jahre alte Berlinerin Elke Schilling hat Kairo kennengelernt – durch ein Programm, das bis vor wenigen Jahren jungen Erwachsenen vorbehalten war: Au-pair

„Seit meiner Rückkehr finde ich Berlin doch sehr sauber“

ELKE SCHILLING, AU-PAIR

VON MILENA MENZEMER

Elke Schilling zog Kairo und Canberra in Betracht. Dann mischte sich eine Freundin ein: „Du gehörst nach Ägypten, Elke, da ist Revolution!“ So ging Schilling, eine heute 69 Jahre alte Rentnerin aus Berlin, im November 2011 für vier Monate in die ägyptische Hauptstadt – als Au-Pair-Dame.

Bis vor wenigen Jahren war das Au-pair-Programm jungen Erwachsenen vorbehalten: Man lebt bei einer Gastfamilie im Ausland, hütet deren Kinder und verrichtet Hausarbeiten. Dafür bekommen die Au-pairs ein Taschengeld, freie Kost und Logis. Doch nun beweist auch die Generation 60 plus Abenteuergeist.

Seit zwei bis drei Jahre mehren sich die Angebote für Pensionierte, die noch mal rauswollen: Agenturen wie „Aupair 50plus“, „good age AUPAIR 50+“, „Granny Aupair“, „SENIORas“ oder „Madame Grand-Mère“ vermitteln Senioren – vorwiegend ältere Damen – als Au-pairs ins Ausland. Man gehe davon aus, „dass der Markt in den nächsten Jahren noch wachsen wird“, sagt eine Sprecherin des Bildungsberatungsdienstes „weltweiser“.

Auch Elke Schilling wollte ihr Englisch aufpolieren und noch mal etwas Neues entdecken. Sie registrierte sich bei einer Agentur, sichtete die Anzeigen von Gastfamilien – und meldete sich auf ein Gesuch aus Ägypten. Schließlich zog sie zu der damals dreijährigen Farida und deren alleinerziehender Mutter.

In Kairo sei sie dann gefragt worden, was sie selbst für eine Familie habe – dass die sie einfach so nach Ägypten ziehen lasse. Die Seniorin aus Mitte lacht. „Meine Tochter hat sich schon Sorgen gemacht. Aber ich durfte gehen, ich konnte ja per Internet Kontakt halten.“

Mubarak war im Februar 2011 gestürzt worden. Elke Schilling flog nach Ägypten, als dort zum Jahreswechsel Parlamentswahlen stattfanden. „Ich wollte mir vor Ort ein eigenes Bild machen“, sagt sie. Die Berichterstattung der deutschen Medien sei sicher nicht falsch, jedoch einseitig. „Der Tahrirplatz ist nur so klein, und drum herum tobt der ganz normale Alltag einer 16-Millionen-Einwohner-Stadt“, sagt sie.

Auf den ließ sie sich ein. Dreimal pro Woche holte Elke Schilling Farida vom Kindergarten ab. Nachmittags sollte sie so viel Deutsch mit ihr sprechen wie möglich – das Scheidungskind mit einer deutschen Großmutter väterlicherseits sollte die Sprache nicht verlernen. In ihrer Freizeit habe sie dann die Stadt erkundet, sagt Schilling – auf eigene Faust, mit „Google Maps“, zu Fuß und per Taxi. „Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht“, erinnert sich die Diplom-Mathematikerin. Schilling ließ Weihnachten ausfallen und lernte arabische Vokabeln. Allerdings habe sie sich in den vier Monaten in Kairo weniger in Dinge eingemischt als hier: „Dort war ich eher Beobachterin. Das ist hier anders, wo ich die Spielregeln kenne.“

Michaela Hansen, Gründerin der Agentur „Granny Aupair“, hat seit 2010 mehr als 400 Frauen in 40 Länder vermittelt. „Die älteste Frau, die wir entsenden konnten, war 76 Jahre alt“, sagt sie. Insgesamt 80 Berlinerinnen hätten sich in den vergangenen drei Jahren bei „Granny Aupair“ registriert, davon seien bis heute 25 ausgereist. Bei den meisten Agenturen zahlen die Bewerberinnen eine Vermittlungsgebühr, um Anzeigen einsehen oder die Familien kontaktieren zu können. „Dann lernen unsere Damen die Familie per Skype kennen“, sagt Hansen.

In der Regel wohnen und essen die „Grannies“ gratis bei den Familien, nur Flug und Versicherung müssen sie selbst finanzieren. Die Aufenthaltsdauer und die Arbeitszeiten sprechen sie im Voraus mit den Gastfamilien ab.

„Oft haben die Damen einen klassischen Länderwunsch im Kopf: Großbritannien, Frankreich, USA“, sagt Hansen. „Aber dann lassen sie sich von anderen Angeboten inspirieren: Namibia, Südafrika, Russland.“ Die meisten Bewerberinnen wollten abseits vom Touristenurlaub noch mal ein Land, Leute und eine Sprache kennenlernen, die Herausforderung suchen. Sie seien in der Mehrzahl zwischen 60 und 70 Jahren alt, manche seien gebunden, manche nicht.

Ob die Damen in der körperlichen Verfassung für den Auslandsaufenthalt seien, müssten sie selbst einschätzen können. „Die unterschiedlichsten Frauen bewerben sich bei uns“, sagt Hansen. Abgelehnt würde aber niemand, weil sich für jeden Topf ein Deckel finden lasse. „Nur nicht für Männer“, erklärt Hansen – die seien von den Gastfamilien nicht gefragt. Die meisten Familien würden sich eine typische Großmutter wünschen, die auf ihre Kinder aufpasst.

„Ich bin dankbar für die Erfahrung“, sagt Elke Schilling heute. Seit ihrer Reise sehe sie vieles aus einem anderen Blickwinkel. So habe sie Berlin früher zum Beispiel immer als dreckig empfunden. Schilling schmunzelt: „Seit meiner Rückkehr finde ich die Stadt so sauber!“ Sie sei auch verwundert gewesen, wie geordnet hier der Verkehr durch die Straßen fließe.

Heute, sagt Elke Schilling, verfolge sie viel bewusster die Nachrichten zu den Geschehnissen in Ägypten. Auch zu ihrer Gastfamilie hält sie Kontakt. „Ich werde dieses Jahr über Weihnachten noch mal nach Kairo fliegen“, sagt sie. Vielleicht wolle sie auch noch mal einen Au-pair-Dienst machen – dann aber nicht noch mal in Kairo. Sie ist abenteuerlustig: „Mich reizen auch noch andere Regionen.“