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Archiv-Artikel

Die falsche Religion

Seit 27 Jahren versucht die regierende Geistlichkeitdie so genannteBahai-Frage zu lösen

AUS TEHERAN NAFISA TEHRANI

Hätte man in Babaks Herrenhandtasche ein rohes Ei geschmuggelt, so wäre es mindestens gekocht, dann gebraten, schließlich verbrannt und vor allem platt wie ein Blatt Papier. Derart presst er diese hellbraune Tasche – Kunstleder, Baujahr 78, postrevolutionär – in seine Achselhöhle. Irgendwohin muss er seine Anspannung ja drücken. Seinen Arm hält Babak angewinkelt, als werde er von einem unsichtbaren Gips gehalten. Als er ins Auto steigt, legt er die Tasche auf ihren Platz, ein Fach im Armaturenbrett, und fährt los. Man muss kein Navigationssystem sein, um zu merken, dass Babak verschwenderische Umwege fährt. Wo es denn hingehe, fragt die Besucherin. Zum Ziel, beruhigt er sie und lächelt freundlich in Fahrtrichtung. Das Gespräch nimmt seinen Lauf.

„Es ist seltsam. Dieser Staat verbietet meinen Kindern zu studieren, derselbe Staat erteilt meiner Frau ein Berufsverbot und er beobachtet uns. Der hat es immer noch auf uns abgesehen. Mein Chef steht diesem Staat nahe. Er hat mich in den vergangenen Jahren regelmäßig rausgeworfen.“ Der Grund sei immer derselbe: Die falsche Religion. Babak ist kein Muslim, sondern Bahai. Also für seinen Chef und den orthodoxen Klerus einer, der vom Glauben abgefallen ist. Arbeiten, Kündigung, ein paar Monate Pause und dann stellen sie ihn wieder ein. Die Familie ernährt er schon irgendwie. Er biegt in eine Seitenstraße und parkt gleich vor dem Haus, fast im Flur. Zwischen sein Auto und die Haustür passt höchstens noch seine Handtasche. Er blickt schnell noch zum Wohnhaus schräg gegenüber, und schon ist er im Flur verschwunden.

Obwohl Babak daheim ist, um Tee zu trinken, lässt er seine Tasche lieber unter dem Oberarm eingeklemmt. Babaks Frau wird während des Gesprächs nur am Rande erwähnen, dass ihr Mann wenig isst und nicht lange an einem Ort bleiben kann. Sie wird sagen, dass acht seiner Weggefährten hingerichtet wurden. Nur weil er an jenem Abend keine Zeit hatte, als die acht bei einer Bahai-Versammlung festgenommen wurden, lebe er noch. Seit der neue Präsident gewählt wurde – Babaks Frau beugt sich vor –, habe sie große Angst um ihren Mann. Er sei als aktiv bekannt. Da unterbricht Babak sie, zieht den Autoschlüssel aus seiner Handtasche und macht sich auf den Weg.

Wir schreiben das Jahr 27 nach der islamischen Revolution in Iran. Seit 27 Jahren versucht die regierende Geistlichkeit die so genannte Bahai-Frage zu lösen. Als der Schah gestürzt wurde, hatte Babak gerade sein Studium beendet und war verliebt. Er ahnte nicht, dass ihm seine Biografie nun aus der Hand genommen würde. Seinen jüdischen Kollegen und die Christen im Nachbarhaus duldet der Staat zumindest rechtlich betrachtet, das steht so im Koran und in der iranischen Verfassung. Nicht aber ihn als Anhänger der erst 160 Jahre alten Bahai-Religion, deren Ursprungsland Iran ist. Er gilt als Abtrünniger, weil seine Religion aus dem Islam hervorgegangen ist. Babak erkennt Mohammed und den Koran an, aber er hält ihn, anders als der Klerus, nicht für den letzten der Boten Gottes. Hinzu kommt, dass er sich beim täglichen Gebet gen Israel wendet. Dort haben die Bahai ihre heiligen Stätten. Irans Regierung unterstellt ihnen deshalb, sie seien „zionistische Spione Israels“. Doch weniger interessiert die Verantwortlichen, dass der Religionsstifter Baha’u’llah im 19. Jahrhundert ins damalige Palästina, das heutige Israel, verbannt worden ist – auf Betreiben der persischen Geistlichkeit und des Schahs. Israel ist Israel ist Israel.

Die Verfolgung der Bahai im Iran ist in Wellenbewegungen aufgetreten. Zu Beginn des 19. Jahrhundert wurden sie unterdrückt und immer wieder Opfer von Massakern. Unter dem Schah wurden sie zumindest nicht systematisch vom Staat gejagt. Es kam zu einzelnen Ausschreitungen, zum Beispiel als Mullahs und Militärs 1955 gemeinsam das Bahai-Zentrum in Teheran zerstörten. Mord, Raub und Vergewaltigung folgten. Seit der islamischen Revolution jedoch betreibt die Regierung eine regelrechte Verfolgung. Zunächst bestand die Lösung der „Bahai-Frage“ darin, die prominenten Bahai hinzurichten. Man bot ihnen vor ihrer Tötung an, den Glauben zu wechseln. Diese Vorgehensweise rief internationalen Protest hervor. Also wurden die Hinrichtungen reduziert. Stattdessen sind die Bahai alltäglichen Repressionen ausgesetzt.

„Wer immer Angst hat“, sagt Babak, „der kann nicht leben.“ Würde Babak seinen Blick allein auf die Verfolgung richten, wie manche Bahai in seinem Viertel es tun – vor allem seit Ahmadinedschad im Amt ist –, dann hätte er längst den Haushalt aufgelöst, Kühlschrank und Herd zu etwas Geld gemacht und hätte in Kanada ein neues Leben begonnen. Wie sein Bruder. Babak und seine Frau haben sich für das Bleiben entschieden. „Wir werden verfolgt, aber wir lassen uns nicht vertreiben.“ Und wenn man ihn zusammen mit den Bahai aus seiner Umgebung erlebt, dann bekommt man eine Idee davon, was ihn hält.

Die Bahai in Babaks Viertel treffen sich ständig. Mal verabreden sie sich, um dem verarmten Rentner Herrn Husseini beim Umzug zu helfen. Tags darauf berät Babaks Frau eine Mutter von zwei Kindern, die Eheprobleme hat. Er hat eine vertraute Nähe zu den anderen Gläubigen. Sie kennen sich fast ein Leben lang. Keiner übt den Beruf aus, den er mal gelernt hat. Von ihren eigenen Lebensentwürfen mussten sie sich alle trennen. In der Folge sind die meisten sozial stark abgerutscht und verarmt.

Das Ganze hat System, wirft er dann doch mal en passant in den Raum. Sie hätten es immer gewusst, aber die Welt hätte es auch mitbekommen, und zwar schon 1993 und jetzt auch wieder. Damals veröffentlichte die UN-Menschenrechtskommission ein geheimes iranisches Regierungsdokument. Unterzeichnet war es vom geistlichen Führer Ali Chamenei. Die „kulturellen Wurzeln der Ungläubigen“, Babak kann es auswendig, müssten vernichtet werden. Im vergangenen Herbst hat Chamenei seine Aussage erneut bekräftigt und den Sicherheitskräften befohlen, jede Regung der Bahai zu beobachten. Die UN-Sonderberichterstatterin Asma Jahangir hat dieses Dokument der Öffentlichkeit präsentiert und damit klar gemacht: Die Absicht Chameneis ist so frisch wie ehedem. Für den Alltag bedeutet das für Babak und die anderen willkürliche Festnahmen und Einschüchterungen, Heiligtümer werden zerstört. Bahai dürfen nicht an staatlichen Universitäten studieren, erhalten ihre eingezahlte Rente nicht, ihr Besitz wird konfisziert, sie werden rechtlich benachteiligt, sie dürfen nicht einmal sagen, dass sie Bahai sind. Offizielle Versammlungen sind verboten, ein Gemeindeleben nicht erlaubt. Kurz, wenn sie leben, sollen sie schlecht leben, so lautet der offizielle Kurs. Dieser wird jedoch von vielen in der Bevölkerung schon lange nicht mehr mitgetragen. Gegen die staatliche Propaganda sind sie immun, weil sie wissen, dass die Bahai bei ihren Zusammenkünften doch kein Blut trinken.

Babaks Handtasche liegt auf dem Armaturenbrett. Er fährt wieder Umwege, um die Universität und das Studentenwohnheim nicht sehen zu müssen. Denn hier spürt er seine verwundbarste Stelle: Diese Orte führen ihm vor Augen, dass nicht nur er ein Outcast ist, sondern auch seine Kinder. Babaks Ältester durfte nicht an die Universität, studierte dann an einer privaten Hochschule, die die Bahai in ihrer Not organisieren. In Wohnzimmern und Kellerräumen treffen sich ein paar Studenten. Sie werden von anderen Bahai unterrichtet, die einmal als Informatiker oder Psychologen beschäftigt waren, ehe sie rausgeschmissen wurden. Die Abschlüsse dieser Hochschule sind in Iran jedoch beinahe nichts wert.

Babaks mittlerer Sohn war diesen Sommer mit dem Aufnahmetest für die staatliche Universität an der Reihe. In der Zeitung stand, er habe gut abgeschnitten. Erstmals waren in diesem Jahr auch die Ergebnisse der Bahai-Hochschulbewerber veröffentlicht worden. Da hatte sich eine große Hoffnung breit gemacht, sie würden zum Studium zugelassen. Die ganze Familie atmete sehr tief auf, Babak rief die halbe Welt vor Freude an. Er war sich sicher, dass jetzt die Zukunft beginne. Als die Unterlagen der Hochschule im Briefkasten lagen, sahen sie, dass sie im Aufnahmepapier als Muslime registriert wurden. Der alte Trick, stille Übernahme, um die Minderheit auszutrocknen. „Entweder“, sagt Babaks Sohn, „muss ich die Religion wechseln und meine Überzeugungen verleugnen, oder ich bekomme keinen Studienplatz.“ Die Familie entschied sich dafür, diese Art der Zwangsislamisierung abzulehnen.

Wir landen auf sonderbare Weise wieder vor seinem Haus. Er geht zu dem Gebäude schräg gegenüber, springt die Treppen zur Wohnung im ersten Stock hoch und blickt in das Gesicht seines Schwagers, der viele Nächte nicht geschlafen hat. Sie haben seine Frau, Babaks Schwester, vor zwei Monaten geholt. An jenem Abend war sie mit Babak unterwegs. Als sie nach Hause kam, erwarteten sie die Revolutionswächter im Wohnzimmer und nahmen sie fest. Seit Ahmadinedschad kommt das oft vor. Babak ist mit seiner Schwester häufig lange Umwege durch die Stadt gefahren, um anderen Bahai zu helfen, deren Angehörige im Gefängnis sitzen. Irgendwann wird Babak nach seiner Tasche greifen und wieder losfahren. Sein Auto treibt durch die Straßen. Er blickt in den Rückspiegel und biegt kurzerhand ab. So was macht er nicht ohne Grund.

Aus Angst vor Repressionen veröffentlicht die Autorin, selbst eine Bahai, ihren Text unter Pseudonym.