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Archiv-Artikel

Keine Lösung, nirgends

CHAMPIONS LEAGUE Wem kann man beim heutigen Finale die Daumen drücken: dem FC Bayern München oder Inter Mailand? Weder noch. Traktat eines Verzweifelten

Die Sieger

2009 FC Barcelona (2:0 gegen ManU) 2008 Manchester Utd. (7:6 gegen Chelsea) 2007 AC Milan (2:1 gegen Liverpool) 2006 FC Barcelona (2:1 gegen Arsenal) 2005 FC Liverpool (6:5 gegen Milan) 2004 FC Porto (3:0 gegen Monaco) 2003 AC Milan (3:2 gegen Juve) 2002 Real Madrid (2:1 gegen Leverkusen) 2001 Bay. München (5:4 gegen Valencia) 2000 Real Madrid (3:0 gegen Valencia) 1999 Manchester Utd. (2:1 gegen Bayern) 1998 Real Madrid (1:0 gegen Juve) 1997 Borussia Dortmund (3:1 gegen Juve) 1996 Juventus Turin (4:2 gegen Ajax) 1995 Ajax Amsterdam (1:0 gegen Milan) 1994 AC Milan (4:0 gegen FC Barcelona) 1993 O. Marseille (1:0 gegen Milan)

VON BERND MÜLLENDER

Fußball ohne Parteinahme ist wie Brötchen ohne Krümel, wie Liebe ohne Leid, wie Bahnfahren ohne Ärger. Heute Abend trifft in Madrid der FC Bayern München, für viele seit Dekaden Inbegriff des Fußball-Bösen, im Finale der Champions League auf die Unsympathen von Inter Mailand (Sat.1, 20.45 Uhr). Wem soll man da den Triumph wünschen? Eine Wahl zwischen Pest und Cholera fiele leichter.

Bayern München polarisiert wie kein anderer Club. Fein heraus sind die Freunde des FC Ruhmreich (8,3 Millionen sollen es bundesweit sein), sei es qua Herkunft (Bayernlande), anerzogen seit der Kindheit oder aus billigem Erfolgsopportunismus. Viele andere sagen seit jeher: Nie wäre ich für dieses arrogante Schickeria München, diese nimmersatten Titelabgreifer und protzreichen Duselweltmeister. Der FC Bayern 2010 scheint jedoch das alte Freund-Feind-Denken durch zuletzt bisweilen hinreißenden Fußball zu atomisieren. Zumindest bröckelt es. Ein Phänomen.

Selbst in Holland, wo die Maschine FC Bayern immer besonders unbeliebt war, denken sie plötzlich anders. Und wer mal miterlebt hat, welcher Hass Figuren wie Oliver Kahn, Stefan Effenberg oder besonders Lothar Matthäus in den 90ern in Eindhoven oder Amsterdam entgegenschlug, wird es umso überraschender finden, dass jetzt viele von den Bayern schwärmen. Klar, das liegt auch am Oranje-Trio Trainer Louis van Gaal, an Arjen Robben und Mark van Bommel. Aber es sei mehr, sagen sie – Bayern spiele das gleiche System wie Ajax früher, Voetbal totaal, drei Spitzen, variables Spiel, schnell, offensiv, dominant. Hollands Fußballphilosophie als Exportschlager. Und: Anders als die traditionell in Schönheit versagende Elftal auch noch erfolgreich!

Kotzbrocken wie Loddamadäus sind nicht mehr dabei. Das verringert die Reibung. Es dominieren freundliche Schwiegersöhne aus eigener Zucht wie Lahm, Badstuber, Thomas Müller; dazu Olic, das lustige kroatische Kampfschwein (deutsche Tugenden), Dribbelmeister Ribéry und besonders der mutmaßlich Außerirdische Arjen Robben. Aber da ist immer noch Mark van Bommel, der lächelnde Rüpel mit den brutalen Tritten, der gern mit seinem Image spielt: Wenn er seine Kinder aus dem Kindergarten abhole, sagt er, gingen die Leute immer sicherheitshalber zur Seite. Da ist auch der Stinkstiefel (Killer-)Kalle Rummenigge, und dieser Uli Hoeneß, der ewig zwiespältige. Einerseits überaus sozial engagiert (zuletzt in der Dominik-Brunner-Stiftung), andererseits der alte Poltergeist, aufbrausend, zornesrot, die abgebrühte „Abteilung Attacke“. Immer noch ist da die FCB-Attitüde vom „Mia san mia und ihr seid’s halt das Fußvolk.“

Und da ist dieses Unikum von Trainer. Eben noch galt Louis van Gaal als unnahbarer Fremdling, der mit einem Gottesvergleich kokettierte, Widersacher selbstherrlich abfieselte und offen seine Medienaversionen kultivierte („haben alle keine Ahnung“). Dann drohte er im SZ-Interview Journalisten je nach Laune auch mal zu küssen und gab sich bei der Meisterfeier volksnah mit Kusshand in Krachledernen. Plötzlich feiern alle diesen „King Louis“ (FR), das spaßige „Feierbiest“ (Niederländisch: feestbeest, eigentlich „Partylöwe“). Psychologisch ein Klassiker der Sympathieheische: Erst den Übelmann geben, dann im Erfolg Zückerchen verteilen. Ick ben ick, aber ich gewähre die Gnade, mich zu lieben. Nach einem Sieg heute würde van Gaal wohl zum dauerküssenden Ehrenmitglied der Münchner Bussigarde. Was er wirklich ist, ein Diktator, ein netter Onkel und Spielerversteher oder einfach ein ganz normales Trainerbiest – das weiß niemand genau.

Und es sind sehr wohl immer noch Dusel-Bayern. Wer mit vier Niederlagen in ein Finale einzieht, hat das Glück klafterweise gebucht. Und die Erfolgsspiele selbst? Auf Juve trafen sie, als die Turiner gerade auf dem Tiefpunkt angekommen waren. Gegen Florenz half das klarste Abseitstor der jüngeren Fußballgeschichte. In Manchester gingen sie unter, bis ein vorverwarnter Jungverteidiger des Gegners eines der unnötigsten taktischen Fouls der Liga beging – Rot. Und die Wende.

Ohne ein gewisses Maß an Dusel im richtigen Moment funktioniert Fußballerfolg nicht. Nur, es sind nach wie vor immer die Bayern, die fast immer das rechte Dusel-Maß im wichtigen Moment abonniert haben. Das übliche Losglück kam hinzu (Florenz, Lyon). Den großen FC Barcelona bekamen sie nicht zum Gegner.

Zu wem nur halten heute Abend? Zu den Besseren? Zu dem, der schöner spielt? Das geht gar nicht: Tagesaktuelle Parteinahme hat im Fußball nichts zu suchen. Hier ist Haltung gefragt. Im nationalen Reflex für die Bayern sein? Das war schon immer beschämend chauvinistisch und sowieso grunzblöd: Ihnen samstags Geschwüre ans Gebein wünschen und sie mittwochs in Europa bejubeln, wenn es gegen Traktor Baku geht oder gegen Olympique de London.

Beim Massengucken heute Abend besteht für labile Charaktere hohe Ansteckungsgefahr. Genau darauf setzt die FC Bayern München AG. In einem offenen Brief der Mannschaft besonders an den „normalerweise Nicht-Bayern-Fan“ wird um gemeinsames Träumen vom Titel gebeten. „Samstagabend sollten alle Bayern sein, das wünschen wir uns“, denn es gehe „letztlich auch um Deutschland“. Ein Paradigmenwechsel: Bislang gehörte es zur strategisch kultivierten Identität des FCB, entweder geliebt oder richtig gehasst zu werden.

Für die Bayern sein heißt, sich im Torschrei gemein machen mit Leuten wie Edmund Stoiber, Uschi Glas, Bumbum Becker, Helmut Markwort, Franz Josef Strauß selig. Bei einem Sieg würde die Bundesliga Italiens Serie A in der Uefa-Fünfjahreswertung überholen. Demnach bekäme die Bundesliga ab 2011 einen Startplatz mehr in der Champions League. Und, haha, davon könnten ja, denkt das Fan-Chamäleon aus Stuttgart oder Hamburg, auch meine Lieblinge profitieren. Das ist opportunistisches Denken nach Art einer Fußball-FDP. Ekelhaft.

Die Alternative hieße: für Inter sein. Ausgerechnet! Dafür gibt es schlechterdings gar keinen Grund. Gut, Clubeigner Massimo Moratti ist ein romantischer Patriarch, ausgewiesen links, teilweise öko und in Mailand der große Gegenspieler von Silvio Berlusconis Übelsippe. Aber sonst? Diesen Stenz von Trainer bejubeln, José Mourinho, diese Inkarnation affiger Arroganz? Der Inter-Fußball ist ästhetisch eine Beleidigung jedes Balles. Mailands Maurermeistertruppe hat mit seinem Catenaccio der 70er-Jahre im Halbfinale die Fußballanmut des FC Barcelona zermalmt. Und uns damit heute Abend um den Zauber von Lionel Messi betrogen.