: „Wir brauchen ein Gastarbeiterprogramm“
Bushs Vorschläge zur Migrationspolitik sind nicht neu. Was der Präsident wirklich tun sollte, ist, den Bürgern zu erklären, warum die USA so dringend eine Einwanderungsreform brauchen, sagt die US-Abgeordnete Loretta Sanchez
taz: Präsident Bush hat angekündigt, Reserveeinheiten des Militärs an die mexikanische Grenze schicken zu wollen. Was halten Sie als Demokratin und Latina davon?
Loretta Sanchez: Wir müssen unsere Grenzen sichern und der Heimatschutz muss wissen, wer ein- und ausreist. Ich bin allerdings auch der Meinung, dass wir den Menschen, die bereits hier sind, etwas Positives anbieten müssen. Denn Teile unserer Communities haben keine Papiere. Wir müssen diesen Menschen erlauben zu bleiben und, wenn sie das wollen, US-Staatsbürger zu werden. Als Mitglied des Verteidigungsausschusses muss ich zudem fragen, wie sich der Präsident die Grenzsicherung eigentlich in Zukunft vorstellt.
Sie meinen bezüglich der Ressourcen der Reserveeinheiten?
Wir ziehen die National Guard gegenwärtig sehr intensiv heran, im Irak und in Afghanistan. Hinzu kommt, dass die Hurrikan-Saison vor der Tür steht, Sie erinnern sich, als Hurrikan „Katrina“ New Orleans verwüstete, war die National Guard des Bundesstaates im Einsatz im Irak. Zudem droht die Vogelgrippe. Ich habe große Bedenken, wenn Menschen die Grenze bewachen, die dafür gar nicht ausgebildet sind.
Über die schlechtbewachte US-mexikanische Grenze kommen jährlich eine halbe Million Menschen ins Land – illegal. Was wäre Ihre Lösung?
Die Gesetze, die wir bereits verabschiedet haben, auch zu finanzieren. Die sehen die Rekrutierung und Ausbildung von weiteren 2.000 Grenzbeamten vor. Aber der Präsident hat das Geld dafür nie freigegeben.
Sie werfen George Bush also Doppelzüngigkeit vor?
Das Paket, welches der Präsident da vorgestellt hat, ist ja nichts Neues. Der Senat um den Republikaner John McCain und den Demokraten Ted Kennedy reden davon schon lange, auch die demokratischen Abgeordneten. Was der Präsident wirklich tun sollte, ist, aufstehen, um den Bürgern zu erklären, warum wir dringend die Einwanderungsreform benötigen. Die sollte er mal so gut verkaufen wie seine Steuerkürzungen. Er muss außerdem seine Republikaner einbestellen und sie bearbeiten, um so die Mehrheiten zu organisieren, die wir brauchen.
Vor dem Hintergrund eines in der Einwanderungsfrage ziemlich gespaltenen Kongresses schlug Präsident Bush außerdem vor, ein Latino-Gastarbeiterprogramm ins Leben zu rufen, um die illegale Immigration zu stoppen. Braucht die USA ein solches Programm?
Es ist völlig klar, dass in Zukunft unsere Wirtschaft noch mehr Arbeitskräfte benötigen wird als heute. Ja, deshalb brauchen wir ein Gastarbeiterprogramm. Allerdings eines, das den Migranten wirkungsvollen Schutz vor Ausbeutung bietet. Dafür müsste natürlich der Kongress sorgen. Wichtig ist außerdem, dass das Gastarbeiterprogramm intensiv kontrolliert wird und das Ministerium für Arbeit wirklich für den Schutz der Arbeiter sorgt.
Industrie und Landwirtschaft profitieren von der Illegalität der Arbeiter, die deswegen noch billiger sind. Werden die entsprechenden Lobbys nicht gegen eine Veränderung anstürmen?
Ein guter Arbeitgeber möchte legale Arbeitskräfte und fürchtet sich nicht vor dem gesetzlichen Schutz seiner Angestellten. 90 Prozent der US-Arbeitgeber sind rechtschaffen. Zu mir kommen ständig Vertreter großer Hotels, Firmen und Unternehmen, die betteln, ich möge etwas dafür tun, damit ihre Arbeiter legalisiert werden. Diese Arbeitgeber sehen ja den gewaltigen Druck, dem ihre nicht legalisierten Mitarbeiter und deren Familien ausgesetzt sind.
In Deutschland hatte man in den 60er-Jahren mit dem Start des Anwerbeprogramms die Vorstellung, dass die Gastarbeiter nach Ablauf ihres Arbeitsaufenthaltes wieder nach Hause gehen. Das war nicht der Fall. Wie soll das ihrer Meinung nach in den USA geregelt werden?
Bislang können wir nicht einmal verfolgen, wer ein- und ausreist. Bushs Vorschlag setzt natürlich voraus, dass die Grenzbehörden diese Daten auch erhalten. In die notwendige Technologie wurde aber noch nicht investiert.
Was müsste mit denjenigen Migranten passieren, die bereits im Land sind?
Wenn wir diejenigen legalisieren, die schon hier sind, können wir uns auf die konzentrieren, die neu kommen werden. Wir müssen Anreize schaffen, damit die, die schon hier sind, uns sagen, wer sie sind. Wir müssen das legale Durcheinander beenden, in dem viele Familien leben. Da hat der Mann eine Aufenthaltsgenehmigung, nicht aber die Familie. Oder die in den USA geborenen Kinder haben die Staatsbürgerschaft, während ihre Eltern illegal sind. Und wir müssen sehen, dass die Migration besser organisiert wird.
Laut Schätzungen gelangt jede Minute ein illegaler Migrant über die mexikanische Grenze in die USA. Interessiert sich der Kongress für die Gründe, etwa die Armut in Mexiko?
Armut ist in der Tat die Ursache Nummer eins, warum sich Menschen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Es gibt Regionen in Mexiko, aus denen die Hälfte der Bevölkerung in die USA ausgewandert ist. Die USA, der Kongress, müssen sich da eindeutig cleverer und engagierter einbringen, damit die Ursprungsländer ihre Wirtschaft aufbauen können. Da wird eindeutig nicht genug getan.
In Ihrem eigenen, sehr gemischten kalifornischen Wahlkreis leben Weiße, Asiaten und Latinos. Was erhoffen sich die Menschen dort vom Kongress, der in den kommenden Tagen über die Reform des Einwanderungsgesetzes entscheiden soll?
Solange es auch Aussichten auf bessere Grenzsicherung gibt, befürworten die Menschen in meinem Wahlkreis den Gesetzentwurf des US-Senats, der den Illegalen Wege zur Staatsbürgerschaft eröffnen will. Die drakonischen Strafen für Illegale, auf die sich das Abgeordnetenhaus einigte, sind unpopulär. Was insgesamt gut ankommt, ist, dass die Migranten merken, dass sich viele mit ihnen auf Demonstrationen und Protestmärschen solidarisieren. Viele haben das Gefühl, jetzt merken endlich alle, dass sie auch Menschen sind. Denn wissen Sie, es ist fürchterlich und beängstigend, in den USA ohne Papiere leben zu müssen.
Halten Sie die landesweiten Demonstrationen gegen die Kriminalisierung der Illegalen, die von Latino-Gruppen seit April organisiert werden, für hilfreich – oder kontraproduktiv?
Die Aktionen sind wirklich an der Zeit. Es ist gut, wenn Aktivisten von Tür zu Tür gehen, die Latino-Wahlberechtigten drängen, sich in die Wählerlisten einzutragen und Druck zu machen auf den Kongress, damit dieser die richtigen Gesetze verabschiedet. Dass die Republikaner daraus Kapital schlagen, indem sie der Bevölkerung Angst vor den demonstrierenden Latinos einreden, das ist ein alter Hut. Bei den letzen Wahlen haben sie Kapital aus der Angst vor der Homoehe geschlagen. Die Debatte um die Migration, die sie nun angezettelt haben, wird ihnen aber langfristig schaden. INTERVIEW:
ADRIENNE WOLTERSDORF