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DIE TÜRKISCHE REGIERUNG IST MIT SCHULD AN DER RÜCKKEHR DER GEWALTEskalation als Folge verbaler Kraftmeierei

Die Türkei geht schweren Zeiten entgegen. Im Moment eskalieren mehrere überwunden geglaubte Konflikte: Zum einen hat die kurdische PKK schon vor etlichen Monaten wieder zu den Waffen gegriffen. Zum anderen zeigt das gestrige Attentat auf die Richter am Kassationsgerichtshof, dass die Gewalt auch in die Auseinandersetzung zwischen Islamisten und Laizisten zurückgekehrt ist.

Seit die islamisch grundierte Regierung Erdogan im November 2002 ihr Amt antrat, gab es die Hoffnung, dass dem gewaltsamen religiösen Fundamentalismus damit die Grundlage entzogen wurde. Jetzt zeigt sich, dass ein Teil der Fundamentalisten mit der diskursiven, demokratischen Veränderung des Landes nicht zufrieden zu stellen ist und wieder zur Gewalt greift.

Die nur halbherzige Distanzierung der Regierung vom aktuellen Attentat wird dem Militär als Hüter des Laizismus übel aufstoßen. Wenn sich die mit großer Mehrheit regierende AKP im kommenden Frühjahr anschickt, einen Staatspräsidenten aus ihren Reihen zu wählen – und damit nach dem Minister- und Parlamentspräsidenten das letzte hohe Staatsamt zu erobern –, wird der säkulare Teil der Gesellschaft dies als Angriff auf seinen Lebensstil empfinden. Taktieren wie jetzt nach dem Attentat ist nicht dazu angetan, Zweifel an der Treue der Partei zur Verfassung auszuräumen.

Zu allem Überfluss gehen alle Beteiligten auch noch davon aus, dass es aufgrund des Zypern-Konflikts in diesem Herbst zu einer schweren Krise im Verhältnis zur Europäischen Union kommen wird. Doch statt diese Probleme anzugehen, konzentriert sich die Regierung Erdogan lediglich opportunistisch auf den Ausbau ihrer Machtbasis. Im Verhältnis zur EU zeigt sie keinerlei Initiative, um den nationalistischen Flügel ihrer Wähler nicht zu brüskieren. Dasselbe gilt in der Kurdenfrage.

Stattdessen mobilisiert die AKP mit verbaler Kraftmeierei ihren Anhang und trägt so zumindest eine Mitschuld an der Verrohung des Klimas, das die Türkei im kommenden Jahr tatsächlich wieder in Gewalt und Bürgerkrieg abgleiten lassen könnte. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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