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Archiv-Artikel

ACHSE DES HOUSE VON TOBIAS RAPP

Und es werde licht

Es ist angenehm, wenn Künstler in dem an verdrogtem Großkunstgetue wahrlich nicht armen House-Zirkus so zurückhaltend sind wie das Berliner Produzentenduo Booka Shade. Dabei dürfte jeder, der ab uns an das Radio anmacht, schon Musik von Walter Merziger und Arno Kammermeier gehört haben – zumindest eines der Stücke, das sie für den Eurodance-Act Culture Beat produziert haben oder für die No Angels. Dieser Art musikalischer Dienstleistung haben sie seit einiger Zeit abgeschworen (die Miete erwirtschaften sie nun mit Werbefilmmusik), um Get Physical Music zu starten, eines der besten Berliner Houselabels.

„Movements“ ist ihr zweites Album, und sosehr es die Ästhetik des anderthalb Jahre alten Vorgängers „Memento“ fortschreibt mit seiner Idee von leicht entschleunigten House, so sehr hat sich das Ganze aufgeheitert. Vieles der soundtrackartigen Düsternis ist verschwunden und hat einer dancefloororientierten Lichtdurchflutung Platz gemacht – da Merzinger und Kammermeier nun auch live spielen, betonen sie stärker ihre Tanzflächensensibilität, sei es in dem House-Epos „Darko“, in dem Cut-up-Trance-Disco-Knaller „In White Rooms“ oder in der Bearbeitung ihres Überhits „Mandarine Girl“ vom vergangenen Sommer. Zwischen dem deeperen House-Entwürfen, wie ihn etwa Ame pflegen, und den minimaleren Sounds eines Luciano oder Isolee bilden Booka Shade so etwas wie die einheitliche Feldtheorie des heutigen House.

Booka Shade: „Movements“ (Get Physical/Intergroove)

Raus aus der Düsternis

Über all dem Ruhm, den sie als einziger wirklicher Star jener Electroclash genannten Spielart des Achtzigerjahre-Revivals erntete, das Neonglamour, Feiern der Kokain-Kaputtness und asymmetrische Frisuren zu bündeln wusste, vergisst man leicht, was für ein brillanter DJ Miss Kittin eben auch ist. Ravesau-Qualitäten, technische Perfektion, Geschmackssicherheit und eine umfassende Bildung in der elektronischen Tanzmusik verbindet sie wie kaum jemand sonst.

All das prägt auch „A Bugged Out Mix“, die umwerfende Doppel-CD, die sie nun für das Londoner Resist-Label zusammengestellt hat. Dies ist tatsächlich des Techno reine Seele – erfreulicherweise verzichtet Miss Kittin komplett auf die gegenwärtig scheinbar unvermeidliche Zusammenführung von House und Techno. Dieser Mix ist düster, energiegeladen und mitreißend. Das Einzige, was hier nicht stimmt, ist die Betitelung: In „A Perfect Day“ und „A Perfect Night“ sind die zwei Mixe unterteilt, ein großer Unterschied lässt sich nicht feststellen – ob Tag oder Nacht, perfekt sind beide. Sei es der erste, der von Cajmeres Chicago-House über die Berliner My My bis zu „Paroles“, einem Breakbeat-Stück von Mike Ink, und Front 242 reicht, der belgischen EBM-Gruppe aus den Achtzigern. Oder der zweite Mix, der ähnlich breit gefächert mit dem Übergang von Donato Dozzys „Metal Slave“ zum Two-Lone-Swordsman-Remix von Saint Etiennes „Heart Failed (In The Back Of A Taxi)“ perfekt aus der Düsternis ins Licht führt.

Miss Kittin: „A Bugged Out Mix“(Resist/Rough Trade)

Von Vocals durchwoben

Die Bedeutung des Frankfurter Labelkonglomerats Force Inc für die Entwicklung der elektronischen Musik kann man gar nicht überschätzen. Von der europäischen Acidschule über discofizierten House und Breakbeats verschiedenster Couleur bis zur Electronica (für die es das Unterlabel Mille Plateaux gab) und Glitch – bis der Konkurs des Vertriebs EFA Force Inc Ende 2003 in den Abgrund riss, gab es kaum eine Spielart elektronischer Musik, die hier nicht vorgedacht und veröffentlicht wurde. Zuletzt eben auch Minimal House, für den 1999 das Label Force Tracks gegründet worden war und auf dem schon damals umrissen wurde, was heute die Tanzflächen dominiert.

Nun sendet Force Tracks wieder, nunmehr aus Berlin – soundästhetisch macht der schwedische Produzent Unai mit „A Modern Love“ allerdings souverän auf der Baustelle weiter, die Künstler wie Akufen vor zwei Jahren räumen mussten: einer filigranen Überblendung von Disco-Elementen mit Minimal Techno und House, alles durchwoben von Vocals, die sich durch Filter schleichen. Erstaunt stellt man fest, dass man die Lücke, die die Abwesenheit von Force Inc riss, wohl nur deshalb nicht bemerkt hat, weil das unendlich ausdifferenzierte Minimal-Universum mit seinen zahllosen Labels und ihren speziellen Ästhetiken einen solchen Reichtum bereithielt. Doch die Stücke auf „A Modern Love“ atmen einen kalten Soul, der auf eine sehr eigene Art verhallt und gleichzeitig klickerig ist.

Unai: „A Modern Love“ (Force Tracks/Intergroove)