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Archiv-Artikel

Die Debatte zum Volksentscheid

DAS VOLK SIND WIR Per Volksentscheid lehnen die Bayern Pläne für eine Münchener Olympia-Bewerbung ab. SPD und CSU verständigen sich über Volksentscheide auf Bundesebene. Die CDU hält dagegen. Es gibt keine Einigung zu Plebisziten auf Bundesebene

LESERINNENBRIEFE

Mutti ohne Kinder

■ betr.: „Volksentscheide: Die CDU bremst“, taz vom 13. 11. 13

„Olympia München?“ Die betroffenen Wähler haben entschieden. Asyl für Snowden? Die betroffenen Wähler sollten entscheiden. Mutti müsste sich bei Onkel Sam ja nur entschuldigen für ihre aufmüpfigen, pubertären Kinder, die hier wie dort einem natür- lichen Verlangen nach (wenn auch eingeschränkter) Mitbestimmung und Freiheit folgen. Schade, dass Mutti keine Kinder hatte.

JÜRGEN JOS DOERES, Mülheim

Mist beschließen

■ betr.: „Die Angst vor dem Bürger“, taz vom 13. 11. 13

Das Volk könnte irgendeinen Mist beschließen – tut es aber nicht, meint Asmuth. Tut es aber doch! Im Fall von Stuttgart 21 hat „das Volk“ genau das getan, nämlich immer teurer werdenden Mist beschlossen. Denn die Voraussetzung für eine richtige Entscheidung hängt vom Grad der Informiertheit ab, die wiederum hängt auch von der finanziellen Ausstattung und der Gleichheit der Möglichkeiten für alle Seiten ab, diese Informiertheit herstellen zu können, die hier aber nicht gegeben waren. So war das wichtigste Kriterium (laut einer SWR-Umfrage kurz nach der Volksabstimmung) für den Nichtausstieg aus der Mitfinanzierung des Landes BW für die Mehrheit (über 60 Prozent) der Bürger, die von der Bahn ins Blaue hochgerechneten und von der CDU und SPD verbreiteten angeblichen Ausstiegskosten aus dem Projekt. Eine unter solchen Bedingungen organisierte Bürgerbeteiligung hat keinen Wert und dient nicht der Demokratie, da können sich die Leute einbringen so viel sie wollen.

MANUELA KUNKEL, Stuttgart

Kluges Volk

■ betr.: „Die Angst vor dem Bürger“, taz vom 13. 11. 13

Ihrem Kommentar kann ich nur zustimmen.

Einen Aspekt haben Sie vielleicht nicht erwähnt, beziehungsweise zwei: die Parteiendemokratie, beziehungsweise die Demokratie und die Parteien. Bürgerentscheide sind ein Schritt in Richtung Demokratie. Bei der „Bestimmung der Richtlinien der Politik“ durch den Bundeskanzler/die Bundeskanzlerin oder gar den Fraktionszwang wird die verfassungsmäßig garantierte Gewissensentscheidung der gewählten Mandatsträger ad absurdum geführt. (Grundgesetz Art. 4 und Art. 38). Zugespitzt wird die Problematik durch Regierungen oder „Sicherheitsdienste“, welche die Grundrechte der Bürger beschneiden, siehe Whistleblower oder Zivilcourage. Auch glaube ich nicht, dass irgendein Wähler den Parteiprogrammen zu 100 Prozent zustimmt – alle wählen doch „das kleinere Übel“!

Entweder die Parteien reformieren sich (etwa durch Umgang auf Augenhöhe mit den Wählern) oder es geht – ohne die Parteien – in Richtung Demokratie, parlamentarisch oder wird – wie zur Zeit – eher außerparlamentarisch. Sie haben Recht, Herr Asmuth: Das Volk ist längst klüger, als es die Polizei erlaubt! NORBERT VOSS, Berlin

Beweis fehlt

■ betr.: „Die Angst vor dem Bürger“, taz vom 13. 11. 13

Unter dieser eher wohlfeilen Schlagzeile behauptet Gereon Asmuth „Volksentscheide repolitisieren die Republik. Besser geht’s nicht“. Das ist heute eine sehr verbreitete These. Leider fehlt der Beweis dafür.

Neben der grundsätzlichen Frage, ob man Entscheidungen über komplizierte Probleme stets mit Ja oder Nein beantworten kann, sondern eher Kompromissentscheidungen erfordern, sind die meisten Volksentscheide der letzten Jahre den Beweis schuldig geblieben, dass sich mehr BürgerInnen an der Entscheidungsbildung beteiligen. Die Beteiligungen bewegen sich überwiegend im Bereich von 30 bis 40 Prozent, oft noch darunter, also noch geringer als bei „normalen“ Wahlen. Selbst die Abstimmungen bei den Piraten kennen selten bessere Beteiligungsquoten. Bei den viel gerühmten Bürgerhaushalten liegen die Beteiligungen bei weit unter 10 Prozent, und die meist von selbst Betroffenen und Interessenvertretern.

Wieso sind die dabei getroffenen Entscheidungen besser demokratisch legitimiert als die Entscheidungen gewählter PolitikerInnen? Die geringen Beteiligungsquoten stimmen traurig. Deshalb ist es zu „flach“, ständig der repräsentativen Demokratie die Schuld an Politikverdruss und -desinteresse zu geben. Da steht viel mehr zur Diskussion: politische Bildung, Achtung des öffentlichen Engagements, Individualisierung, „privat geht vor Katastrophe“, Skandalisierung und vieles andere mehr.

LUDWIG HOFFMANN, Wernigerode

Volk entscheidet

■ betr.: „Die Angst vor dem Bürger“, taz.de vom 12. 11. 13

Wir sind mittlerweile eine der stabilsten Demokratien der Welt, also könnte man dem Bürger auch mehr direkte Gestaltungsmöglichkeiten geben. Es soll ja nicht über jeden Pipifax direkt abgestimmt werden. Es gibt in der BRD keine demokratischen Gründe Volksentscheide abzulehnen. Und wenn das Volk Schwachsinn entscheidet? Dann hat das Volk entschieden! Und zwar demokratisch! JON, taz.de

Pro Volksentscheid

■ betr.: „Die Angst vor dem Bürger“, taz.de vom 12. 11. 13

Nur weil es dumme Mitmenschen gibt, sollte man nicht die Volksherrschaft abschaffen oder einschränken. Sicherlich könnte man auch Immanuel Kant als naiven Philosophen bezeichnen, als er seinen kategorischen Imperativ, seine Sätze über die Aufklärung und seine Gedanken über den Ewigen Frieden formuliert hat. Hätten wir jedoch nicht diese naiven Menschen gehabt, würden wir uns noch heute von Aristokraten ausbeuten und auf die Erlösung und das Paradies im Jenseits vertrösten lassen.

Gegen sinnvolle, an der Verfassung und den Menschrechten orientierte Volksentscheide gibt es nun wirklich nichts einzuwenden.

DANIEL NEUBURG, taz.de

Nicht alles Gold

■ betr.: „Die Angst vor dem Bürger“, taz.de vom 12. 11. 13

Wo steht geschrieben, dass die Bürger sich nicht doch informieren und eine eigene Meinung bilden, unabhängig vom örtlichen Parteibüro und den großformatigen Boulevardblättern? Ja, schaut man sich bei den Petitionsportalen um, ist nicht alles Gold was glänzt, soweit richtig. Aber Volksentscheide sind doch etwas anderes.

Hier muss die Politik dem Bürger genug Material an die Hand geben, damit er sich eine Meinung bilden kann und die Parteibüros würden plötzlich mehr Besuche verzeichnen, weil der interessierte Bürger wissen will, um was es geht. B47TAZ, taz.de

Nein, danke!

■ betr.: „Die Angst vor dem Bürger“, taz.de vom 12. 11. 13

In einem Land, in dem die Bild die auflagenstärkste Tageszeitung ist, in dem einem Sarrazin mehr Glauben geschenkt wird, als die empörten Gegner ihm zugestehen wollen, in dem so viele der Ansicht sind, „das Boot ist voll“ und „Hartz-IV-Beziehern geht es doch viel zu gut“; und dann sollen bei einem Volksentscheid – wie in Bayern beim Nichtraucher-Volksbegehren – knappe 20 Prozent der absoluten Stimmen ausreichen, um eine Gesetzesänderung zu erzwingen? Nein danke! S:WEINERT, taz.de