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Archiv-Artikel

Dutzende Tote bei schweren Gefechten

Rasche Zunahme von Selbstmordattentaten in Afghanistan. Massive Taliban-Präsenz macht ganze Provinzen für Hilfsorganisationen und afghanische Zivilbeamte zu No-go-Areas. Die Nato will ihre Truppenstärke weiter erhöhen

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Die Kämpfe in Afghanistan nehmen an Intensität weiter zu. In der Nacht zu Donnerstag kam es in der südafghanischen Provinz Helmand zu einem neunstündigen Feuerwechsel, als rund hundert Taliban-Kämpfer die Polizeistation in der Kleinstadt Musa Qala angriffen. Dreizehn Polizisten und 40 Taliban wurden erschossen. Es handelte sich laut Gouverneur der Provinz um die schwersten Kämpfe seit dem Sturz der Taliban 2001.

Am Mittwoch kam es in der Nachbarprovinz Kandahar ebenfalls zu Gefechten zwischen Polizei und Taliban, bei denen diese 18 ihrer Kämpfer verloren. Dabei wurde auch ein weiblicher kanadischer Offizier erschossen. Im westafghanischen Herat kam ein US-Polizeiausbilder um, als ein Selbstmordattentäter sein mit Explosivstoff beladenes Auto in den Wagen des Amerikaners rammte. Am Wochenende war außerhalb Herats ein Unicef-Auto angegriffen worden. Dabei wurden der Fahrer und ein afghanischer Arzt von der deutschen Malteser-Hilfsorganisation getötet. In Kandahar wurde ein Fahrzeug der UNO-Antiminenbehörde angefahren und der Fahrer erschossen.

Die täglichen Nachrichten über neue Gefechte und Attentate gehen einher mit Berichten, wonach Taliban in zahlreichen Dörfern und Kleinstädten im Süden und Osten des Landes wieder offen auftreten und die neuen lokalen Verwaltungen herauszufordern beginnen. In Urusgan nördlich von Kandahar soll heute mit Ausnahme des Hauptorts Tirin Kot die ganze Provinz für Vertreter von Hilfswerken und afghanische Zivilbeamte eine No-go-Area sein.

Gleichzeitig häufen sich Beobachtungen, wonach die Infiltration von Taliban aus Pakistan stark zugenommen hat. Trotz der Verstärkung der afghanischen Grenztruppen durch Verbände der Nato ist der Grenzübertritt leicht, da die Taliban auf Hilfe der lokalen Nomadenstämme in Pakistan zählen können. Zudem ist der Einsatz der pakistanischen Grenzwachtruppen suspekt, in den letzten Monaten häufen sich die Vorwürfe seitens Kabuls und Washingtons, dass Pakistan auf seinem Hoheitsgebiet die Taliban gewähren lässt.

Mit der Zunahme von Suizidtätern zeigt sich zudem, dass ein neuer Schlag von Islamkämpfern in Afghanistan aktiv wird. Während Selbstmordattentate in der Zeit der Mudschaheddin nicht vorkamen, nehmen sie seit dem Irakkrieg rasch zu. Im Jahr 2004 waren es vier gewesen, im letzten Jahr bereits 17, und allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres kam es laut BBC zu 20 Selbstmordanschlägen.

Während die erste Taliban-Generation noch stark von Organen des pakistanischen Staats ausgebildet und kontrolliert wurde, werden die neuen Kämpfer im Untergrund der Stammesgebiete indoktriniert und ausgebildet. Sie genießen heute bestenfalls den passiven Schutz der Provinzregierungen in Peschawar und Quetta, wo die Islamisten eine starke Rolle spielen.

Dass der Krieg um Afghanistan noch lange nicht zu Ende ist, zeigt die neue Nato-Strategie. Deren Verbände werden auch im Süden und Osten des Landes stationiert, wo sie die US-Antiterrortruppe ablösen, die verkleinert und unter das vereinigte Nato-Kommando gestellt wird. Statt nur große Städte und wichtige Verkehrswege zu kontrollieren, sollen die Truppen vermehrt auch eine breite territoriale Kontrolle ausüben. Zu diesem Zweck soll das Korps verstärkt werden. Allein die Zahl kanadischer und britischer Truppen im Süden wird in einigen Wochen über 5.000 Soldaten betragen.