: Thüringer Strombrücke nicht zu verhindern
ENERGIE Vattenfalls Hochspannungsleitung durch den Thüringer Wald wird trotz heftiger Widerstände wohl gebaut werden. Der Konzern will damit norddeutschen Windstrom in süddeutsche Ballungsräume bringen
DRESDEN taz | „Wir wandern nicht mehr gerne / durchs Land von Mast zu Mast …“ Mit dieser sarkastischen Umdichtung des Rennsteigliedes, der Südthüringer Hymne, protestierten vorige Woche 200 Gegner einer 380-Kilovolt-Höchstspannungsleitung vor dem Thüringer Landtag. In der Anhörung des Wirtschaftsausschusses ging es um die seit vier Jahren umstrittene Trasse von Bad Lauchstädt bei Halle durch den Thüringer Wald in den Raum Schweinfurt in Franken. Nach der Anhörung zeichnete sich jedoch ab, dass das Projekt zumindest mit rechtlichen Mitteln wahrscheinlich nicht mehr verhindert werden kann.
Der schwedische Energiekonzern Vattenfall begründet die Notwendigkeit der 210 Kilometer langen „Thüringer Strombrücke“ mit verstärkt im Norden liegenden Einspeisungen aus erneuerbaren Energien, die mit den verbrauchsstarken Südregionen verbunden werden müssten. Eine – allerdings von Vattenfall mitfinanzierte – Studie der Deutschen Energieagentur hatte einen verstärkten Netzausbau angemahnt. Angeblich drohen sonst bereits ab 2012 Überlastungen der bestehenden 110-Kilovolt-Leitungen.
Der Grünen-Abgeordnete im Thüringer Landtag, Dirk Adams, bezweifelt die energiepolitische Notwendigkeit der Leitung. „Die Klimaschutzziele verpflichten uns zu einer Verringerung des Energieverbrauchs und nicht zu einer Verdreifachung des Stromumsatzes, wie von Vattenfall bis 2015 prognostiziert.“
Auch Lorenz Jarras, Gutachter der von der Trassenführung betroffenen Gemeinden, spricht von einem „Pseudoargument“. Es gehe Vattenfall mit dem Leitungsbau nicht nur um den Transport erneuerbarer Energien, sondern ebenso um den von traditionellem Braunkohlestrom – wenn nicht gar um den von billigen osteuropäischen Stromimporten.
Die zahlreichen Bürgerinitiativen befürchten von der 100 Meter breiten Schneise mit den bis zu 100 Meter hohen Masten massive Beeinträchtigungen ihres Lebensraums. Nach Autobahn und ICE-Trasse hat man im Thüringer Wald von Landschaftseinschnitten genug. Auch der Tourismus in der schönen Mittelgebirgslandschaft würde leiden, befürchten sie.
Allerdings ist der 80 Kilometer lange nördliche Abschnitt der Trasse bis nach Vieselbach nahe Erfurt schon im Dezember 2008 in Betrieb genommen worden. Auf die Genehmigungen im kritischen Abschnitt des Thüringer Waldes haben Landesregierung und Landtag nicht unmittelbar Einfluss, sondern nur das Landesverwaltungsamt im Planfeststellungsverfahren. Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) hat keine prinzipiellen rechtlichen Bedenken gegen die Stromtrasse.
Der Kampf der in der Aktion „Achtung Hochspannung“ zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen aber geht weiter. Er erwarte „weitere Impulse für mögliche Alternativen“, sagt der Grüne Adams. Die Linke Petra Enders hält den Einsatz sogenannter Heißdrähte bei bestehenden Trassen zur Verbesserung der Leitungsfähigkeit für sinnvoll. Realistisch erscheinen aber eher Erwägungen, die neue Leitung schonender entlang der Thüringer-Wald-Autobahn oder der ICE-Strecke zu führen.
Am Rennsteig, dem von Wanderern beliebten Gebirgskamm des Thüringer Waldes, soll die Trasse auf einer vergleichsweise kurzen Strecke von 1,7 Kilometern per Erdkabel – das ist teurer als eine Überlandleitung – verlegt werden. Angeblich sollen dafür 100 Millionen Euro EU-Fördermittel bereitstehen.
MICHAEL BARTSCH