: Ein Koffer voll koloniales Erbe
DEBATTE Bei der Präsentation ihrer Anti-Humboldt-Box machen die Initiatoren von „No Humboldt 21“ klar, dass es beim Humboldt-Forum noch viel Grund zur Diskussion gibt
■ Die Anti-Humboldt-Box, eine Initiative von No Humboldt 21, ist eine Wanderausstellung im Koffer.
■ Der Kampagnenkoffer ist heute noch in der Galerie im August Bebel Institut, Müllerstraße 163, von 12 bis 18 Uhr zu sehen. Vom 20. bis 25. November wird die Anti-Humboldt-Box im Haus der Kulturen der Welt präsentiert, John-Foster-Dulles-Allee, 11–19 Uhr. Der Eintritt ist frei
VON LAURA WÖSCH
Flyer, minimalistische Kunstobjekte, ein roter Faden, zwei Totenschädel – wer mit dem Inhalt dieses Koffers verreisen möchte, würde an einer Grenze schnell in Erklärungsnot geraten. Dass aber kriminell erworbene Kulturgüter zur Zeit des deutschen Kolonialismus problemlos Ländergrenzen überwinden konnten – darauf soll die Anti-Humboldt-Box aufmerksam machen. Die Präsentation dieses Kampagnenkoffers am Samstag im August Bebel Institut war künstlerischer Teil und Auftakt der Initiative „No Humboldt 21“.
Unter Beschuss der Initiative steht das Herzstück des im Bau begriffenen Berlin Schlosses: das Humboldt-Forum. In dem laut Meinung des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitzm, Hermann Parzinger, „wichtigsten kulturpolitischen Projekt in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts“ sollen die außereuropäischen Sammlungen Berlins, derzeit noch im Ethnologischen Museum in Dahlem beheimatet, ein neues, repräsentativeres Zuhause finden. Zudem soll der Prachtbau in spe die Zentral- und Landesbibliothek, Teile der Humboldt-Universität sowie eine „Agora“, ein „Forum für Wissenschaft, Kultur und Politik“, beherbergen.
Nicht in erster Linie gegen den Bau des Schlosses richte sich die Kritik, stellte die Moderatorin und „No Humboldt 21“-Mitinitiatorin Mareike Heller von AfricAvenir am Samstag bei einer die Präsentation der Anti-Humboldt-Box begleitenden Diskussion gleich zu Beginn klar, sondern darum, was „da reinkommen soll“. Es geht also um Inhalte, aber auch um Benennungen. Schon der Titel der Initiative verrät ein Unbehagen im Zusammenhang mit der Leitfigur des Berliner Projekts. Nach Ansicht der Initiative sei Alexander von Humboldts legendäre Forschungsreise in Spaniens südamerikanisches Kolonialreich keinesfalls interesselos oder gar vorurteilsfrei gewesen. Unter dem wissenschaftlichen Mäntelchen erbeutete er zahlreiche Kunstgegenstände, aber auch menschliche Überreste im Zeichen anthropologischer-rassenkundlicher Forschung. Der zur Ikone einer vermeintlich weltoffenen, interessenfreien Wissenschaft stilisierten Figur mit dem Forum ein weiteres Denkmal zu setzen sei also mehr als unangebracht.
Erinnerung an Kolonialzeit
Auch wenn die deutsche Kolonialgeschichte vergleichsweise spät begann und nicht allzu lange dauern sollte, lässt sich darüber so einiges und vor allem nichts Gutes sagen. Erinnerungen an die Kolonialzeit drängen sich in Berlin nicht unmittelbar auf – man muss schon danach suchen. Das Ethnologische Museum in Berlin ist ein solcher Ort, in dem archiviert und akribisch gesammelt ist, was im Zuge kolonialer Eroberungen erbeutet wurde. 500.000 Gegenstände beherbergt das Museum – größtenteils Kunstobjekte, deren Erwerbsumstände ungeklärt oder eindeutig als kriminell bezeichnet werden können.
Einen angemessenen Umgang mit dem kolonialen Erbe ließen solche Museen schmerzlich vermissen, postulierte am Samstag die Wiener Kulturtheoretikerin Belinda Kazeem. Nicht nur als Herausgeberin und Autorin des Sammelbands „Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien“ hat sie sich mit Autoritäten und AutorInnenschaften in Museen auseinandergesetzt. Rückgabeforderungen beraubter Erben würden gern mit dem Argument abgeschmettert, man könne in den jeweiligen Ländern für die Kunstwerke gar nicht richtig Sorge tragen. Außerdem zählen die Kunstobjekte mittlerweile zum Weltkulturerbe, weshalb die Zuordnung an einen Staat heutzutage nicht mehr gerechtfertigt wäre.
Den egalitären Zugang europäischer Museen bezweifelte Kazeem: „Wenn Flüchtlinge bereits an den Mauern einer europäischen Festung scheitern, wie soll ihnen dann der Zugang zu einem Museum offenstehen?“
Ethnologische Museen würden auf diese Weise an der Aufrechterhaltung einer Definitionsmacht und ihrer kulturellen Vorherrschaft weiterarbeiten, zeigte sich die Kulturtheoretikerin überzeugt. Nur etwa ein Prozent der außereuropäischen Sammlungen wird tatsächlich ausgestellt. So wird bestimmt, was gezeigt wird – aber auch, welcher Teil kolonialer Geschichte zurückgehalten wird. Das kulturelle Konzept Museum sei so nicht mehr zeitgemäß, so Kazeem. Ausstellungspraxen, die Wissen und Kunst archivieren, statt Bewusstseinsprozesse in Gang zu setzen, müssten überdacht werden. „Wer spricht? Wer definiert?“ – das sind Fragen, die in Zukunft gestellt werden müssten.
Und wenn schon das Humboldt-Forum auch unter diesem Namen kommen wird, wird damit – so die Überzeugung der Forum-Gegner – auch die Frage nach der kolonialen Verantwortung Deutschlands immer lauter werden. Als Stachel im Zentrum Berlins werde man sie gar nicht mehr ignorieren können.